Nicht zu sehen und zu hören
VON LAURA FRIEL
Der Unionismus hatte historisch gesehen nie ein Problem mit der irisch
nationalistischen Bevölkerung in Nordirland, solange diese den Dienstboteneingang
benutzte, ihren Status als Bürger zweiter Klasse akzeptierte und
die damit verbundene Diskriminierung und Unterdrückung ohne Widerrede
schluckte.
Erst als die nationalistische Bevölkerungsgruppe anfing, Gleichbehandlung
einzufordern, an der Eingangstür zu vollen Bürgerrechten zu
klopfen, sahen Unionisten rot, oder - mehr spezifisch - orange.
Inspiriert durch die Bürgerrechtsbewegung des schwarzen Amerika
forderten irische Nationalisten in den späten 60ern Wahlrecht, das
Recht auf Arbeit und menschenwürdige Wohnungen. Unionisten waren
empört und bald schon zog der loyalistische Mob brandschatzend durch
Nordbelfast und den Bezirk Lower Falls und vertrieb dort ansässige
Familien aus ihren Häusern, während die (nordirische Polizei)
RUC mit ihrer speziellen Auffassung von Recht und Oranier-Ordnung die
Bogside in Derry terrorisierte.
Letzte Woche wurden Kinder in Ardoyne (einem Stadtviertel in Nordbelfast)
von Loyalisten daran gehindert, in die Holy Cross Grundschule zu gehen,
da die Loyalisten vor ihren Haustüren den Anblick von ein paar hundert
katholischen Schulmädchen im Alter zwischen 5 und 11 Jahren, die
in Begleitung ihrer Eltern zur Schule gingen, nicht länger tolerieren
konnten.
Als am Nachmittag des 20. Juli Eltern ihre Kinder von der Schule abholen
wollten, wurden sie von Loyalisten mit Steinen beworfen. Anlaß war
eine Auseinandersetzung um das Anbringen loyalistischer Fahnen vor der
katholischen Grundschule. Ein Vater musste den Versuch, sein Kind abzuholen,
aufgeben. Mit Baseballschlägern bewaffnete Loyalisten attackierten
ihn und zertrümmerten die Fensterscheibe seines Autos.
Die Schulleitung hatte zu dieser Zeit gerade eine Besprechung auf dem
Schulgelände und half, die verstörten und weinenden Kinder zu
evakuieren, die nicht auf normalem Weg zu ihren Eltern gelangen konnten.
Die Kinder wurden durch den Hintereingang eskortiert, überquerten
das Gelände des St. Gabriel's College und gingen die Crumlin Strasse
nach Hause.
Am nächsten Morgern wurden Eltern und Kinder auf ihrem Weg zur Schule
von protestierenden Loyalisten aufgehalten, die die Ardoyne Road blockierten.
Eine Reihe von schwerbewaffneten Polizisten der RUC "wies" die
Eltern an, sie kämen nicht durch, und die Kinder wurden abgewiesen.
"Wir sind es leid, dass die mit Celtic T-shirts in unseren Bezirk
kommen und laute republikanische Musik aus ihren Autos dröhnt",
erzählte eine Anwohnerin des loyalistischen Glenbryn dem Newsletter.
Dabei tragen die Kinder alle eine rotgraue Schuluniform und gehen mehrheitlich
zu Fuß zur Schule.
Das hasserfüllte Stereotyp der Glenbryn Anwohnerin wurde als Art
rückwirkende Rechtfertigung unwidersprochen von den Medien weitergegeben,
und ihre Lösung gleich dazu: "die können doch die Crumlin
Road entlang zur Schule gehen, durch Saint Gabriel's und aufhören,
hier die Stimmung aufzuheizen," sagte die Anwohnerin.
Anstelle des kurzen Schulweges von ihren Wohnungen in Ardoyne, die Alliance
Avenue entlang und dann auf der Ardoyne Road in ihre Schule, sollten katholische
Mädchen künftig die doppelte Entfernung zurücklegen, über
das Grundstück einer anderen Schule gehen, ein grosses Fussbaldfeld
überqueren und ihre Schule durch den Hintereingang betreten.
"Es ist schrecklich, daran zu denken, dass diese Kinder gestern
nicht in der Lage waren heimzugehen," sagte die Schulleiterin der
Holy Cross Schule, Anne Tanney. "Über die Jahre haben wir die
Situation immer im Griff gehabt. Wir haben gute Beziehungen zur lokalen
protestantischen Schule. Es ist doch wichtig, dass die Kinder nicht in
Furcht leben." Die Schule blieb am nächsten Tag geschlossen.
Die besorgten Eltern, die möglichst schnell ihre Kinder wieder unbelästigt
zur Schule schicken wollten, hofften auf eine Lösung im Dialog und
baten um ein Schlichtungsgespräch mit einem Sprecher von Glenbryn.
Die Loyalisten willigten ein, katholischen Eltern weiterhin die Begleitung
ihrer Kinder zur Schule zu erlauben, aber nur, falls sie ausschliesslich
die linke Strassenseite benutzen.
Die Eltern wollten diesen Vorschlag unter der Bedingung in Erwägung
ziehen, dass ihre Sicherheit und die Sicherheit ihrer Kinder gewährleistet
sei. Auf den Telefonanruf, der zur Bestätigung beim lokalen Gemeindezentrum
eingehen sollte, warten die Eltern noch heute.
In der Zwischenzeit trafen ortsbekannte Loyalisten aus anderen Bezirken
in Scharen im Bezirk Glenbryn ein. Es wurde bald klar, dass die UDA die
Verhandlungszeit lediglich zur Stärkung ihrer Kontrolle über
Glenbryn benutzt hatte. Ein BBC Reporter wurde informiert, man sei nun
"nicht in der Stimmung für Gespräche".
Die Antwort der UDA an die Eltern kam am Nachmittag, als ein katholisches
Haus mit einer Rohrbombe attackiert wurde, die im Garten explodierte.
Niemand wurde verletzt, aber die Botschaft war klar. Am frühen Abend
sammelten sich Scharen von Loyalisten am Übergang ins nationalistische
Ardoyne.
Die Anwohner hatten Angst vor einem Angriff auf ihre Häuser und
Familien und kein Zutrauen in die Bereitschaft der RUC, sie zu beschützen.
So versammelten sie sich auf der gegenüberliegenden Seite und liessen
sich für mehrere Stunden weder vertreiben noch provozieren.
Erst als drei lokale republikanische Repräsentanten, die versucht
hatten, die Situation zu deeskalieren, gezielt von der RUC herausgegriffen
und attackiert wurden, riß der Menge der Geduldsfaden. In den folgenden
Unruhen feuerte die RUC acht Plastikgeschosse. Die neu eingesetzten L21A1
hatten ihre ersten Opfer, alle vier Opfer waren Nationalisten. Es wurden
keine Plastikgeschosse gegen Loyalisten eingesetzt.
Am Donnerstag morgen um 8.30 Uhr versammelten sich die Eltern mit ihren
Kindern in Schuluniform ausserhalb des lokalen Supermarkts. Vorbei an
den Überresten der Strassenschlacht gingen die Eltern mit ihren Kindern
auf eine geschlossene Linie von RUC Fahrzeugen und Polizeioffizieren zu,
die den Weg zur Schule blockierten. Etwas weiter hinten hielt eine loyalistische
Menge die Blockade des Schulwegs aufrecht.
Kameraleute schossen die Bilder von entsetzten, weinenden und sichtbar
verängstigten Kindern, die sich krampfhaft an ihren Müttern
festhielten, während diese mit der RUC verhandelten. Derweilen verhöhnte
der loyalistische Mob die Eltern und beschimpfte sie wüst. Ein Loyalist
schrie "Fenian scum" während ein anderer "Bye, bye"
höhnte. "Ihr werdet diese Schule nie mehr benutzen können".
Nach einem spontanen Protest zerstreuten sich Kinder und Eltern.
"Das nackte Entsetzen auf dem Gesicht der kleinen Laura Hallam zeigt
die wirklichen Kosten der Gewalt der letzten Woche in Nordbelfast,"
schreibt Stefanie Bell in Sunday Life ... "die Konfrontation mit
RUC-Offizieren in vollem Kampfanzug, die ihren Weg zur Schule blockieren,
läßt den normalerweise sorglosen Gang zum Alptraum werden."
Aber für Bell gehören loyalistische Gewalt, Einschüchterung
durch die RUC und eine katholische Mutter, die versucht, ihr Kind zur
Schule zu bringen, in dieselbe Kategorie von Schuldigen. "Während
sich Repräsentanten beider Seiten wie Kindergartenkinder darüber
streiten, wer die Auseinandersetzung in Ardoyne gestartet hat, sind Unschuldige
wie Laura die wirklichen Verlierer," schreibt sie.
Bells Kollegin Lynda Gilby geht sogar noch weiter. "Mütter
verlieren meine Sympathie," erklärt bereits die Überschrift
des Kommentars. "Natürlich ist es absolut empörend, wenn
kleine Kinder mit Steinen beworfen, eingeschüchert und am Betreten
ihrer Schule gehindert werden," gibt Gilby zu. "Aber einige
dieser Mütter verloren letzte Woche meine Sympathie, wenn ich mir
die Photos ihrer entsetzten und schluchsenden Kinder ansah."
"Das war die Handvoll Mütter, die auf dem direkten Weg in die
Schule bestanden, obwohl ihnen von der Polizei mitgeteilt worden war,
dass sie ihre Kinder ohne Gefahr über den Hintereingang zur Schule
bringen könnten.
Die Medien waren in Übereinstimmung mit der loyalistischen Agenda
und die Botschaft wurde ungeniert verbreitet. Katholische Kinder und ihre
Eltern sollten werden zu sehen noch zu hören sein. Wen kümmert
Recht oder Unrecht. Alles wäre in Ordnung, nähmen die Katholiken
doch nur die Hintertür.
Ein paar Kinder gingen den Umweg via Crumlin Road und durch St. Gabriel,
aber niemand war sicher, ob sie auf einem der beiden Wege wieder unbeschadet
nach Hause kämen. Aus Angst um die Sicherheit ihrer Kinder blieben
einige Mütter den ganzen Tag in der Schule. Der Abgeordnete des Regionalparlaments
von Sinn Fein, Gerry Kelly, beschrieb die Situation, die Kinder dazu zwang
den Hintereingang zu benutzen "wie in Alabama in den 1960ern".
Um 3 Uhr nachmittags gingen Eltern und Kinder der Holy Cross Grundschule
gemeinsam mit Schülern des St. Gabriel Collegs via Crumlin Road nach
Hause, nur um zwischen einer weiter angewachsenen Schar Loyalisten und
schwerbewaffneten RUC Spezialeinheiten Spiessruten zu laufen. Die alternative
sichere Route hatte sich als Lüge erwiesen. Aber das hielt weder
Bell noch Gilby davon ab, drei Tage später diesen Unsinn zu schreiben.
In Ardoyne ging die loyalistische Gewaltwelle weiter. Eine zweite Bombe
wurde innerhalb von zwei Tagen auf das Haus einer katholischn Familie
geworfen. Die explosion schleuderte einen kleinen Jungen gegen einen Zaun
und brachte eine Ziegelmauer zum Einsturz. es war 4 Uhr nachmittags und
Gerüchte von einer zweiten Bombe machte die Strasse menschenleer.
"Jeder ist aufgewühlt und entsetzt," sagt die Mutter des
Jungen. "Es ist nur eine Frage der Zeit bis jemand ernsthaft verletzt
oder getötet wird."
In Ardoyne bemühten sich die republikanischen Repräsentanten
währendessen, jede weitere Verwicklung von Anwohnern in Strassenkämpfe
zu verhindern. Ihrer Beute beraubt machten Loyalisten ihrem Ärger
durch Angriffe auf die RUC Luft und zündeten eine katholische Schule
auf der Ballysillan Road an.
Am Freitag morgen war es fast eine Woche, dass die Kinder der Holy Cross
Grundschule am unbehinderten Betreten ihrer Schule gehindert wurden. Als
Sprecherin der Eltern wandte sich Elaine Burns mit ihrer sieben Jahre
alten Tochter an die RUC, die immer noch die Schule hermetisch absperrte.
"Wir möchten wissen, ob Sie uns ermöglichen, unsere Kinder
zur Schule zu bringen?" fragte Elaine den zuständigen RUC Offizier.
Es waren nur noch zwanzig Loyalisten, die den Weg versperrten, aber die
RUC weigerte sich, den Weg zu räumen. Stattdessen wurde das geplante
Sportfest mit jährlicher Presiverleihung abgesagt, da Eltern und
Kinder wiederum am Betreten der Schule gehindert wurden.
Am Wochenende schliesslich konnte die Tatsache, dass die loyalistische
Gewalt in Nordbelfast von der UDA, bzw. den Getreuen des inhaftierten
UDA-Führers Johnny Adair, initiiert und aufrechterhalten wurde, nicht
länger von den Medien und den Sicherheitskräften ignoriert werden.
Schüsse, die am Freitag Nacht in der Hopewell Avenue im Bezirk Lower
Shankill (der Hochburg Adairs) zu hören waren, gelten allgemein als
UDA "show of strength". Nicht einmal eine Woche zuvor hatte
Johnny Adair angeboten, loyalistische Gewalt im Vorfeld von Drumcree einzudämmen,
allerdings nur, falls er aus dem Gefängnis entlassen würde.
Tage später werden Adair's Gefolgsleute als die identifiziert, die
die Gewaltausbrüche im Norden Belfasts anheizen. Selbst Britische
Kräfte mussten zugeben, das dies wohl kaum ein Zufall war.
"Es gibt klare Hinweise, dass die UDA für die Gewalt verantwortlich
ist und Mitglieder ihrer C-Companie involviert sind," sagt ein Sprecher
der 'Sicherheitskräfte'. "Diese Einheit tut nichts ohne Adairs
Billigung."
Da die Holy Cross Schule am Wochenende geschlossen ist, wenden Loyalisten
ihre Aufmerksamkeit isolierten katholischen Enklaven in Nordbelfast zu.
Am Sonntag abend bricht loyalistischer Mob durch die Sicherheitsabsperrung,
die den (loyalistischen) Bezirk Tiger's Bay von den in Duncairn Gardens
lebenden Nationalisten trennt.
Ca. zwanzig Männer attackieren Autos und Häuser von Katholiken,
zertrümmern Fensterscheiben, werfen Farbbeutel und Bomben in die
vorderen Wohnzimmer von drei Häusern. Zurück bleiben zwei zerstörte
Autos, demolierter Besitz und zerrüttete Nerven. "Ich weiss
nicht, warum diese Leute das tun," sagt ein Anwohner, dessen Haus
attackiert wurde. "Die Leute hier stören keinen. Wir sind nur
eine einfache Zielscheibe." In einem anderen Zwischenfall hatte eine
loyalistische Bombe eine katholische Feier auf dem Friedhof Carnmoney
am Sonntag nachmittag zum Ziel.
Aber am Montag morgen lag der Fokus wieder auf der Holy Cross Grundschule.
Etwas wie eine Bombe war an der Schulmauer befestigt. Ardoyne erwachte
mit der Nachricht einer Bombendrohung auf ihre Schule. Die Bombe wurde
später als Attrappe entlarvt aber Eltern und Schüler waren bereits
eingeschüchtert. Diejenigen Eltern, die trotzdem ihre Kinder auf
der Ardoyne Road zur Schule bringen wollten, wurden wiederum von RUC und
Loyalisten daran gehindert.
Das gleiche Schema am Dienstag, als Kinder und Eltern mit Plakaten für
das Recht auf Erziehung protestierten und eine Stunde im strömenden
Regen verbrachten. Dasselbe am Mittwoch. Es gibt wenig Hoffnung für
den Rest der Woche, dann sind Sommerferien und die Schule bleibt in dieser
Zeit geschlossen. "Das hängt wie ein Damoklesschwert den ganzen
Sommer über uns," sagt eine der Eltern.
Übersetzung: 29.06.2001, Uschi Grandel, Holzhaussiedlung 15, 84069
Schierling, uschi.grandel@t-online.de
AdÜ: Verbindlich ist das englische Original, Text in Klammern ist
Erläuterung der Übersetzerin.
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