Irisch Republikanische Solidarität








TC

Am Freitag, den 4. Oktober 2002, ab 5.00 morgens führte die nordirische Polizei PSNI eine Grossrazzia gegen Büros und Privathäuser von Sinn Fein Mitgliedern durch. Die Razzia wurde auch in den Sinn Fein Büroräumen in Stormont, dem nordirischen Regionalparlament durchgeführt.
Sechs Sinn Fein Mitglieder wurden verhaftet.
Eine offizielle Begründung für den Grosseinsatz wurde bisher nicht gegeben.
Die Vermutung liegt nahe, es handele sich um eine Unterstützungsaktion für den
von der pro-britischen unionistischen UUP und ihrem Chef David Trimble geplanten
Ausstieg aus dem Friedensprozess - ein handfester Polizeiskandal der vor einem
Jahr umbenannten, aber nicht demokratisierten nordirischen Polizei.


Irish Republican News and Information, 5 October 2002, http://irlnet.com/rmlist/


EMPÖRUNG ÜBER DEN ANGRIFF AUF DEN POLITISCHEN PROZESS


Mit Empörung reagierten irische Repubikaner auf die Razzia in den Büroräumen
ihrer Partei in Stormont, dem Sitz des nordirischen Regionalparlaments, im Osten
Belfasts und die Verhaftung des dortigen Büroleiters, einem altgedienten
Parteimitglied.
Sechs Sinn Fein Mitglieder wurden nach frühmorgendlichen Razzien in Westbelfast
und Nordbelfast verhaftet. Bisher wurde von offizieller Seite keine Begründung
genannt. Es wurden Dokumente beschlagnahmt, die im Zusammenhang mit dem
Friedensprozess stehen, sowie Texte zur Polizeireform, zu Menschenrechten und
zur Wahlvorbereitung.
Bairbre De Brun, Ministerin für Gesundheit, und der Abgeordnete Gerry Kelly,
beides langjährige Sinn Fein Mitglieder waren anwesend, als über zweihundert
RUC/PSNI-Mitglieder durch ihre Büroräume schwärmten und mit viel Brutalität in
ziemlichem Chaos einige Gegenstände beschlagnahmten.
Herr Kelly sagte danach: "Das ist eine Schande und ein Angriff auf die
Demokratie und unser Wählervotum.
Das war eine hochpolitische Angelegenheit, schlimmer, es war eine gegen den
Friedensprozess gerichtete Aktion und das in einer Zeit, in der die Polizei
keinen Finger gegen die (loyalistischen) Friedensgegner rührt, die draussen auf
der Strasse Leute umbringen."
Der Vorsitzende der Sinn Fein Gruppe im Dail, dem irischen Parlament in Dublin,
Caoimhghin O Caolain TD, nannte die Razzien "empörend".
Er sagte: "Dies ist ein empörender Angriff auf eine politische Partei, der von
denen in den Reihen der PSNI/RUC eingefädelt wurde, die erbittert gegen eine
echte Polizeireform kämpfen und Gegner des Friedensabkommens sind. Diejenigen,
die verhaftet wurden, waren dabei,die Analyse und Politik unserer Partei zur
Polizeireform zu erarbeiten. Diese Razzien sind ganz augenscheinlich Teil der
derzeitigen Propaganda, die versucht, Sinn Fein anzuschwärzen, um die
Anti-Friedensabkommens-Agenda der Ulster Unionist Party zu unterstützen.
Ich fordere den Taoiseach (Premierminister Bertie Ahern) und den Aussenminister
auf, bei der britischen Regierung Protest in schärfster Form einzulegen."
Die heutigen Razzien sind ein Spiegelbild der Razzien in den Wochen nach dem
Vorfall in der RUC-Polizeikaserne Castlereagh (März 2002), in der geheime
Dokumente zu Grossbritanniens verdecktem Krieg in Irland mysteriös verschwanden.

Der damalige RUC-Chef Ronnie Flanagan bezeichnete den Vorfall selbst als einen
"Insiderjob" unzufriedener Elemente im britischen Sicherheitsapparat. Aber
später bezichtigte er die IRA des Einbruchs und ordnet die Verhaftung
prominenter irischer Republikaner an, die alle kurze Zeit später freigelassen
wurden, ohne Anklage zu erheben. Bisher haben sich keine Beweise gefunden, um
die Unterstellungen zu verifizieren, die Republikaner wütend als Rufmord
bezeichneten.
Beide Seiten sehen Parallelen zwischen dieser Operation und den Freitagmorgen
Razzien. Irische Republikaner gehen davon aus, dass es ich um den Versuch
handelt, im Vorfeld der kommenden Wahl (zum nordirischen Regionalparlament) Sinn
Fein Aktivitäten zu stören und Aktivisten und Unterstützer, sowohl daheim wie
auch international, einzuschüchtern.
Angestellte in den Sinn Fein Büros in Stormont werden von David Trimble der
Spionage beschuldigt. David Trimble weigert sich dabei, zwischen Sinn Fein und
der IRA zu unterscheiden.
Er behauptet "was wir bisher wissen oder annehmen" sei Spionagetätigkeit gegen
die "höchsten Ränge der Regierung und dass Spione das Northern Ireland Office
(das Nordirlandministerium der britischen Regierung) durchdrungen haben".
Der Führer der Ulster Unionisten fügte hinzu, die den heutigen Razzien
zugrundeliegende Spionageoperation sei ernster als der Einbruch im Büro der
Special Branch in der Polizeikaserne Castlereagh in Ostbelfast.
"Das ist die gleiche Liga wie Castlereagh. Es ist derselbe Stil der Operation
wie in Castlereagh. Und vermutlich waren es dieselben Leute, die sie ausgeführt
haben."
Unterdessen haben irische Republikaner die Hardliner unter den britischen
Sicherheitskräften und die britischen Einheiten der "psychologischen
Kriegsführung" beschuldigt, die sie auch für den Vorfall in Castlereagh
verantwortlich machen.
Sinn Fein Abgeordneter für Nordbelfast, Gerry Kelly, nahm zu Trimbles Kommentar
Stellung und bezeichnete die Ulster Unionist Party als Anti-Friedensabkommens-Partei.
"David Trimble erklärte seine Strategie auf dem UUP-Parteitag im März. Er möchte
die politischen Institutionen kollabieren und die Schuld dafür den irischen
Republikanern in die Schuhe schieben. Auf dem Treffen des UUC (Ulster Unionist
Council) im vergangenen Monat hat er diese Agenda enthüllt."
Die Kampagne der Hardliner unter den britischen Sicherheitskräften dient der
Unterstützung dieser Anti-Friedensabkommens-Strategie. Sie haben in einer Reihe
von öffentlichen Verlautbarungen versucht, irische Republikaner zu dämonisieren.

Der zentrale Verantwortliche hierfür war der stellvertretende Polizeichef Alan
McQuillan. Er benutzte hierfür gezielte Indiskretionen und nicht-öffentliche
Presseerklärungen. Andere plazierten Lügengeschichten in den Teilen der Medien,
die bereit waren, so etwas zu akzeptieren.
Es bleibt die Aufgabe der beiden Regierungen (der irischen und der britischen),
drängender als je zuvor, das Karfreitagsabkommen umzusetzen. Sie müssen dadurch
den Schaden minimieren, den der Rückzug der UUP und voraussichtlich auch der DUP
aus den Institutionen anrichtet."
Es wird ausserdem auch nicht als Zufall betrachtet, dass heute, zeitgleich zu
den Razzien der Prozess gegen die drei irischen Republikaner in Kolumbien
startet, die mit der Anklage konfrontiert sind, Rebellen im kolumbianischen
Bürgerkrieg trainiert zu haben.
Es gibt aber auch den Verdacht, dass hinter den Razzien mehr steckt, als eine
Propagandaattacke gegen Sinn Fein. Die Razzia der Sinn Fein Büros in den
Parlamentsräumen könnte auch ein Angriff des britischen Staates gegen die
Beteiligung der irischen Republikaner am Friedensprozess sein.
Ulster Unionisten haben in einem Ultimatum erst kürzlich gedroht, sie würden die
gemeinsame Regierung zu Fall bringen, wenn sich die IRA nicht bis Januar
auflöse. Es gab auch Vermutungen, die irisch-nationalistische SDLP könnte die
Regierung früher zu Fall bringen, als Antwort auf den unionistischen Boykott der
gesamtirischen Gremien, der für Ende dieses Monats geplant ist.
Es gibt nun den Verdacht, die britische Regierung hätte sich dazu entschlossen,
Sinn Fein mit Gewalt aus der Regierung zu entfernen und diese Razzien könnten
unter diesem Aspekt gesehen werden.
Was auch immer dahinter steckt, es gibt wenig Zweifel daran, dass die Razzien
politisch motiviert waren.
In einer Rede in Stormont nannte Sinn Fein Mitglied Conor Murphy die Razzien
"Anti-Friedensabkommens-Agenda". Er äusserte den Verdacht, dies sei der Versuch,
"Ulster Unionisten dazu zu zwingen, sich aus der Regierung zurückzuziehen und
damit das Karfreitagsabkommen zu Fall zu bringen."
Herr Murphy sagte in einem Interview mit BBC Radio:"Es ist meine feste
Überzeugung, dass es nichts gibt, was unsere Büros im Parlamentsgebäude in
Stormont mit Aktivitäten, die gegen den Friedensprozess gerichtet sind oder
irgendwelcher Gewalt in Verbindung bringt.
Der britische Nordirlandminister John Reid hat die Pflicht, uns zu erklären, ob
er diese Razzia authorisiert hat und uns seine Gründe dafür zu nennen," sagte
er.
"Falls er jedoch diese Razzia nicht authorisiert hat, stellt sich die Frage,
welche Kraft unter seiner Kontrolle so eine Razzia plant und durchführt, die nur
den Gegnern des Friedensabkommens dient und ihnen Auftrieb gibt."

Übersetzung: Uschi Grandel, Samstag, 5. Oktober 2002, Anmerkungen in Klammern
dienen der Erläuterung

Letzte Änderung:
06-Sept-03