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Feuilleton
S. verzweifelt gesucht, Teil 1, Junge Welt vom 17.05.
Wer ist Stakeknife? Danny Morrison, ehemaliger Direktor des Öffentlichkeitsreferates
von Sinn Féin, gibt seine Sicht der Dinge (erster Teil)
Am vergangenen Wochenende wurde der Westbelfaster Bauarbeiter Alfredo
Scappaticci in irischen und britischen Medien als Stakeknife »enttarnt«.
Es wurde behauptet, er sei ein britischer Topspion in der IRA und an bis
zu 40 Morden beteiligt. Das britische Verteidigungsministerium verkündete,
Scappaticci sei nach England in Sicherheit gebracht worden, in ein »Spukschloß«,
wie eine Zeitung wissen wollte. Am Mittwoch sprach Scappaticci im Büro
seines Belfaster Anwaltes mit zwei Pressevertretern und erklärte,
alle Behauptungen entbehrten jeglicher Grundlage. Er habe Belfast nicht
verlassen. Warum man ihn beschuldige, Stakeknife zu sein, wisse er nicht.
Auf seine IRA-Mitgliedschaft angesprochen, erklärte er, er sei bis
vor dreizehn Jahren in der irisch-republikanischen Bewegung aktiv gewesen.
Das führende Sinn-Féin-Mitglied Gerry Kelly räumte auf
einer Pressekonferenz ein, daß Stakeknife existieren könne,
und forderte zur Identifizierung derjenigen auf, die die Behauptung in
die Welt gesetzt hätten, Scappaticci sei Stakeknife. Die republikanische
Bewegung habe keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit Scappaticcis zu
zweifeln. Sein Parteigenosse Martin McGuinness erklärte, auch er
könne an der Leugnung Scappaticcis, Stakeknife zu sein, nicht zweifeln.
Die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen stammten »von namen- und
gesichtslosen Securokraten der britischen Geheimdienste«.
Der irische Premier Bertie Ahern erklärte vor dem Parlament, er
habe die Angelegenheit gegenüber der britischen Regierung zur Sprache
gebracht. Doch in geheimdienstlichen Fragen sei er hinterher immer weniger
schlau als vorher.
Danny Morrison, der von 1982 bis 1990 Direktor des Öffentlichkeitsreferates
von Sinn Féin war, sei so hieß es in einigen Presseberichten
1990 in eine von Scappaticci gelegte Falle getappt, und verhaftet
worden. Auch Morrison, heute Schriftsteller, behauptet in dem folgenden
Artikel nicht, Stakeknife existiere nicht. Wer aber ist Stakeknife, der
laut einigen Berichten keine Person, sondern der Name einer Geheimdienstoperation
sein soll?
Jürgen Schneider
*
Die Stakeknife-Affäre
Zu den Geschichten, die über »Stakeknife«, den vermeintlichen
hochkarätigen Verräter in der IRA, in den Zeitungen erschienen,
gehört die, er sei daran beteiligt gewesen, mich und andere in eine
Falle zu locken, um unsere Festnahme zu bewirken.
Am Sonntag, dem 7. Januar 1990, wurde ich von der Irisch-Republikanischen
Armee (IRA) informiert, eines ihrer Mitglieder, das sich in ihrem Gewahrsam
befände und verhört worden sei, habe zugegeben, Zuträger
der Special-Branch zu sein. Dieser Mann, Sandy Lynch, habe auch erklärt,
die ihn lenkenden Special Branch-Polizisten hätten ihn zwingen wollen,
dafür zu sorgen, daß zwei bekannte Nordbelfaster Republikaner
umgebracht werden können. Die beiden sollten aus Rache sterben, weil
eine verdeckte Operation schiefgelaufen war, bei der ein Polizist ums
Leben kam.
Im November 1989 hatte Lynch die Special Branch informiert, daß
in Vorbereitung eines Hinterhaltes ein Gewehr zu einem Haus in das Gebiet
um die New Lodge Road in Belfast transportiert würde. Es ist unglaublich,
aber zwei Polizeitrupps (der eine wußte nichts von der Anwesenheit
des anderen), stürmten von vorne und von hinten das Haus. Die Polizisten
eröffneten das Feuer aufeinander, und Ian Johnston, Polizist der
Royal Ulster Constabulary (RUC), wurde getötet. Die Special Branch,
so Lynch, habe getobt.
Lynch wurde von der IRA in Gewahrsam genommen und verhört, nachdem
eine Reihe von IRA-Operationen mißlungen waren, und er verdächtigt
wurde, Schuld daran zu tragen. Lynch gab zu, ein Verräter zu sein.
Er erklärte sich bereit, an einer Pressekonferenz von Sinn Féin
teilzunehmen und die Namen der Special-Branch-Polizisten zu nennen, die
ihn hatten zwingen wollen, die beiden Männer ihren Mördern zuzuführen.
Es war eine »gute« Geschichte, ein weiterer Beweis für
die Shoot-to-kill-Politik der RUC. Als Direktor des Öffentlichkeitsreferates
von Sinn Féin sollte ich hinzugezogen werden. Als ich aber an dem
Haus ankam, um Lynch zu treffen, tauchten ein Durchsuchungstrupp der britischen
Armee und Polizeijeeps hinter mir auf der Straße auf. Ich versuchte
zu entkommen, wurde aber im Nachbarhaus festgenommen. Lynch, dem ich nie
begegnet bin, sagte als Belastungszeuge im Prozeß gegen mich und
meine Mitangeklagten aus. Er habe sich zwar bereit erklärt, an der
Pressekonferenz teilzunehmen, habe aber nicht geglaubt, daß diese
stattfinden, sondern daß er erschossen werden würde. Wir wurden
zu Haftstrafen zwischen acht und zwölf Jahren verurteilt.
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