Irisch Republikanische Solidarität








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Feuilleton


Isser’s oder isser’s nicht?



Noch immer Rätselraten um Stakeknife. Danny Morrison, ehemaliger Direktor des Öffentlichkeitsreferates von Sinn Féin, mit seiner Sicht der Dinge (zweiter Teil und Schluß)

Am vorletzten Wochenende wurde der Westbelfaster Bauarbeiter Alfredo Scappaticci in irischen und britischen Medien als Stakeknife »enttarnt«. Es wurde behauptet, er sei ein britischer Topspion in der IRA und an bis zu 40 Morden beteiligt.

Während des Prozesses gegen uns erklärte Lynch, dem ein Richter bescheinigte, daß er ein Lügner sei, einer derer, die ihn verhört hätten, sei Freddie Scappaticci gewesen, der das Haus bereits am Samstag verlassen hätte. Ich war am Sonntag abend dort eingetroffen. In den frühen 1970er Jahren war ich zur gleichen Zeit in Long Kesh interniert wie dieser Mann, der ›Scap‹ gerufen wurde. Ich bezweifle aber, daß ich mit ihm mehr als ein- oder zweimal gesprochen habe, in den letzten vierzehn Jahren allerdings mit Sicherheit nicht.

Im Oktober erwirkte das britische Verteidigungsministerium (MoD) gegen mehrere Zeitungen Unterlassungserklärungen, um zu verhindern, daß sie den Namen eines IRA-Mannes verbreiten, der mit der Force Research Unit (FRU) des britischen Geheimdienstes kollaborierte und dessen Deckname Stakeknife lautete. Zusätzlich zu den Vorwürfen einer Zusammenarbeit von RUC (Royal Ulster Constabulary) und britischer Armee mit loyalistischen Organisationen und anläßlich der Stevens-Untersuchung wurde behauptet, 1987 habe Brian Nelson auf Geheiß der FRU ein Mordkommando der loyalistischen Ulster Freedom Fighters (UFF) zu dem Haus von Francisco Notarantonio in Ballymurphy umgeleitet. Dieser sei erschossen worden, um Stakeknife zu schützen.

Ich habe diese Geschichte schon immer etwas merkwürdig gefunden. Als dies im Oktober 2000 enthüllt wurde, werden sich die 1987 an dem Mord beteiligten UFF-Leute doch gewiß daran erinnert haben, wer ihr eigentliches Mordopfer hatte sein sollen. Schließlich war Nelson 1990 als britischer Agent enttarnt worden, und die Loyalisten werden über Nelsons Entscheidungen nachgedacht und spekuliert haben. Es gibt nur eine Schlußfolgerung: die Loyalisten, von denen bekannt ist, daß sie keine Geheimnisse wahren können, wußten nicht, wer Stakeknife war.

Wenn Stakeknife eine so ranghohe, die IRA sabotierende Figur war, dann hat er oder sie während der letzten zehn Jahre keine sehr gute Arbeit geleistet. Erinnert sei an den Mörserangriff auf Downing Street Nr. 10 im Jahre 1991 und die Bombenanschläge in Bishopsgate und auf Canary Wharf oder auf das Hauptquartier der britischen Armee 1997 in Lisburn, bei dem ein Soldat ums Leben kam. Es wird behauptet, die IRA habe im vergangenen Jahr in das Hauptquartier der Special Branch in Castlereagh eingebrochen und Geheimdienst-Akten gestohlen sowie einen Spionagering im innersten Kreis der Regierung betrieben. Wenn dies stimmt, wo war dann Stakeknife, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten?

Stakeknifes Nützlichkeit mag sich erschöpft haben, doch Gerüchte über seine Existenz und Behauptungen über seine hochrangige Funktion sowie seinen Einfluß, wie lächerlich sie auch sein mögen, wurden in den letzten Jahren von den britischen Geheimdiensten benutzt in dem Versuch, Verwirrung zu stiften und den republikanischen Dissens anzuheizen. Republikanische Dissidenten – keineswegs anti-britisch, wenn sie Munition suchen – haben sich diese Berichte zu eigen gemacht, um die Behauptung zu untermauern, diese Person stehe der Führung unter Gerry Adams nahe. Ich hörte, wie einer sagte, daß die Person Stakeknife – durch ihre schmutzige Arbeit – die Handlungsfähigkeit der IRA geschwächt und die Bewegung zu einem Kompromiß und zum Friedensprozeß gelenkt habe. Als seien Republikaner nicht clever genug, die Friedensstrategie mit Weisheit und Gerechtigkeit auszuarbeiten.

Mit Vorbehalt zu lesen sind auch die in den sogenannten Qualitätszeitungen aufgestellten wilden Behauptungen über die innerhalb der republikanischen Bewegung herrschende Moral. Eine überregionale Zeitung schrieb: »Unterdessen hat die IRA im Norden ihre Mitglieder aufgerufen, die Ruhe zu wahren. Einige sagten jedoch, die Kontroverse ›reiße der Organisation das Herz aus dem Leib‹ und habe das Potential, sie zu zerstören.«

Wunschdenken. Ich lebe in Westbelfast, wo – so wird behauptet – auch Stakeknife seit über zwanzig Jahren lebt. Die bereits zitierte Zeitung gibt nichts von der wirklichen Gelassenheit der Menschen in diesem Wohngebiet wieder, die eingehend analysieren, was gesagt wird und wer was sagt. Und was sie sehen, ist grotesk.

Jahrelang hat das britische MoD Unterlassungserklärungen gegen Zeitungen erwirkt, die sagten, sie würden die wahre Identität von Stakeknife kennen und publik machen. Als diese Zeitungen am vergangenen Wochenende genau dies taten, war das MoD ungewöhnlich auskunftsfreudig.

Zunächst wurde verkündet, Stakeknife sei aus Irland nach Südengland auf eine Basis der britischen Armee in Sicherheit gebracht worden. Sicherheitskorrespondenten wiederholten diese Geschichte, bis ein Journalist der Zeitung Sunday People den Mann aus Westbelfast, dessen Name – Freddie Scappaticci – genannt wurde, zu Hause antraf. Daraufhin erklärte das MoD, Stakeknife befinde sich nicht unter seiner Obhut.

Sprecher des MoD, das jahrelang Stakeknife geschützt hatte, bestätigten zudem in vertraulichen Informationsgesprächen, das der in den Zeitungen genannte Mann ihr Agent sei. Warum bestätigten sie dies, obwohl sie wußten, daß niemand aus Irland geflohen war oder sich in ihrem Gewahrsam befand?

Warum brachen sie eine der geheimdienstlichen Kardinalregeln (Verschwiegenheit) und brachten diesen Mann in Gefahr? Freddie Scappaticci hat dem Journalisten am Samstag abend und erneut am Montag über seinen Anwalt erklärt, niemand habe ihn gewarnt, daß er als Stakeknife bezeichnet werden würde, und alle Behauptungen zurückgewiesen.

Stakeknife, sollte er existieren, kann der IRA nicht mehr schaden. Doch selbst wenn nur die Hälfte dessen wahr ist, was ihm zugeschrieben wird – daß ihm erlaubt wurde, Verräter auszumerzen, die den britischen Geheimdiensten nicht mehr nützlich waren –, ist er eine schwere Belastung für das britische Verteidigungsministerium und die britische Regierung, kann er doch viele Wahrheiten über deren schmutzigen Krieg in Irland enthüllen.

(Übersetzung: Jürgen Schneider)

Letzte Änderung:
06-Sept-03