26.05.2003
Ausland
Als die Sprengmeister kamen
Israels Armee zerstörte bisher 200 Häuser. Augenzeugenbericht
von Andreas Bock (ISM), Nablus
Die Sprengung palästinensischer Häuser kann durch unsere Aktivität
nicht verhindert werden, aber wir können die Familien durch unsere
Präsenz vor Repressalien schützen. »Wir«, das sind
Aktive des »international solidarity movement« (ISM) aus den
USA, Dänemark, Australien, Kanada und unsere palästinensischen
Freunde.
»Mein Haus« war vor einigen Nächten das »Khile-Haus«,
Domizil von Mutter Khile, zwei Söhnen und der Tochter. Es liegt an
einer Straße oberhalb von Nablus. Kaum aus dem Taxi gestiegen, werde
ich vom jungen Aburusch schon von weitem mit der Einladung empfangen,
heute abend mit ihm Schach zu spielen. Die Mutter steht lächelnd
in der Tür, ihre Augen heißen mich freundlich willkommen.
Schlafenszeit. Mutter, Tochter und der Jüngste ziehen sich in ihren
Schlafraum zurück. Auch ich lege mich schlafen, der ältere Sohn
zappt vom Bett aus weiter. Nach etwa einer Stunde Schlaf werde ich mit
dem Wort »djeish« geweckt, dem Schreckenswort, denn es bedeutet
»Armee«. Vom Fenster aus sehen wir zwei Militärjeeps
und eine Art gepanzerten Laster mit einem Aufbau. Gestalten huschen in
der Dunkelheit umher. Wir sammeln uns im Schlafraum der Frauen.
Lautes Schlagen an die metallene Eingangstür, Rufe auf Hebräisch.
Ich rufe zurück, daß ich die Tür öffnen werde.
Ein greller Lichtstrahl, Gewehrläufe sind auf mich gerichtet. Wir
werden aufgefordert, herauszukommen. Ich stelle mich zu den Soldaten,
hinter meinem Rücken verläßt die Familie das Haus. »You«,
heißt es dann, und damit bin ich gemeint, »move, over there.«
Die Gewehrläufe weisen mir den Weg. Ich gehe nicht. Dann lenken glücklicherweise
die anderem im Haus lebenden Familien die Soldaten ab.
Befehle werden gerufen. Die Gewehre sind ständig auf uns gerichtet,
während wir auf die Straße gehen. Auf der anderen Seite müssen
wir uns an einer niedrigen Mauer niederknien. Wie sollen sich alte Menschen
niederknien? Gewehrläufe erzwingen es dennoch. Mittlerweile sind
alle Hausbewohner an der Mauer versammelt: Acht Männer, sechs Frauen,
darunter eine schwangere, drei Kinder und ein Baby.
Endlich, nach langwierigen Diskussionen mit den Soldaten werden Stühle
herbeischafft. Das Haus werde jetzt durchsucht, heißt es, dann könnten
die Habseligkeiten der Familie aus geholt werden. Eine Sprengung werde
vorbereitet, und zwar nur die der Wohnung »meiner Familie«.
Die schwangere Frau muß sich erbrechen und klagt über starke
Schmerzen im Unterleib. Wir rufen nach einem Arzt und einer Ambulanz.
Ein Soldat erklärt, er habe eine medizinische Ausbildung und fühlt
den Puls der Schwangeren. Ich fordere einen richtigen Arzt. Der Mann wird
ärgerlich, geht aber doch zu seinem Vorgesetzten. Endlich wird eine
Ambulanz gerufen, die nach zwanzig Minuten eintrifft und die Schwangere
aufnimmt, siem wird von drei weiteren Frauen begleitet.
Nach einer Stunde Hausdurchsuchung dürfen dann die Sachen aus der
Wohnung geholt werden. In dieser Nacht fühle ich mich zum ersten
Mal vollkommen hilflos, machtlos gegenüber einer Besatzungsarmee,
die fernab jeglichen Rechts einen Akt der Kollektivbestrafung vornimmt.
Die Vorbereitung der Sprengung dauert über zwei Stunden. Mit Bohrmaschinen
werden Löcher für die Sprengkapseln gebohrt. Um vier Uhr früh
werden wir aufgefordert, den Platz an der Mauer zu verlassen und die Straße
hinunterzugehen. Ein dumpfer Knall folgt. Die Wohnung, in der ich heute
Nacht geschlafen habe, ist vernichtet.
Das Militär zieht ab. Zögernd nähern wir uns den Trümmerrn.
Die vordere Hälfte des Erdgeschosses ist völlig zerstört.
Im oberen Teil sind beträchtliche Risse in der Wand. Das gesamte
Gebäude hat sich nach vorne geneigt. Kein Klagen, kein Weinen, keine
Schreie. Die Familie nimmt stumm das Resultat dieser Nacht in Augenschein.
Insgesamt wurden in den vergangenen Monaten im Westjordanland und im
Gazastreifen rund 200 Häuser zerstört. In Nablus betraf es in
derselben Nacht noch ein weiteres Haus. Dort befand sich kein »international«.
Die Bewohner wurden von Soldaten geschlagen. Die Mutter der Familie kann
keine Treppe mehr besteigen.
* Hintergrundinformationen auf www.palsolidarity.org)
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