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13.09.2003
Titel
Rüdiger Göbel
Arafat soll weg
Israel will Palästinenserpräsident ausweisen. Weltweite Kritik
ohne Konsequenzen
Israel will den palästinensischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger
Yassir Arafat außer Landes schaffen, tot oder lebendig. Das israelische
Sicherheitskabinett unter Leitung von Ministerpräsident Ariel Scharon
ermächtigte am Donnerstag abend die Armee offiziell, die »notwendigen
Maßnahmen« einzuleiten. Arafat sei ein »Hindernis auf
dem Weg zum Frieden« und werde entfernt, »zu einer Zeit und
in einer Art, über die noch entschieden werden wird«, heißt
es in der Entschließung. Die Formulierung läßt neben
der angekündigten Abschiebung in ein nordafrikanisches Land auch
die Festnahme oder Ermordung des 74jährigen Palästinenserführers
zu. Es sei ein Fehler gewesen, Arafat nicht schon lange beseitigt zu haben,
sagte etwa Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas am Freitag. Die
israelische Friedensgruppe Gush Shalom hatte bereits zu Wochenbeginn gewarnt,
Arafat könnte im Rahmen einer Verhaftung oder Ausweisung liquidiert
werden.
Der israelische Deportationsbeschluß und die absehbare Eskalation
des Nahost-Konflikts stieß weltweit auf Kritik, seitens der USA
aber auch auf »Verständnis«. Frankreichs Präsident
Jacques Chirac sprach sich gegen die geplante Kaltstellung Arafats aus.
Dieser sei der legitime Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde.
»Es wäre ein großer Fehler, Arafat politisch ausschalten
zu wollen«, warnte Chirac. Auch China und Rußland kritisierten
die jüngste Provokation Israels. Arafat sei gewählter Vertreter
des palästinensischen Volkes, erklärte das Außenministerium
in Peking. Seine Ausweisung werde die Beziehungen zwischen Israelis und
Palästinensern weiter erschweren und die angespannte Situation im
Nahen Osten eskalieren lassen. Die russische Regierung warnte, ein solcher
Schritt würde im schlimmsten Fall eine unkontrollierbare Kettenreaktion
auslösen. Diplomatisch-moderat gab sich indes die Bundesregierung.
Die Entscheidung Israels sei »nicht geeignet, die ohnehin gespannte
Lage zu stabilisieren«, sagte ein Sprecher des Außenministeriums
in Berlin. Noch vorsichtiger äußerte sich UN-Generalsekretär
Kofi Annan. Es wäre »unklug«, Arafat auszuweisen, sagte
der Chef der Vereinten Nationen.
Deutliche Worte fanden indes Vertreter arabischer Staaten für die
angekündigte Arafat-Ausweisung. »Dies kommt einer Kriegserklärung
an den Friedensprozeß gleich«, betonte Hischam Jussef, Sprecher
der Arabischen Liga, am Freitag in Kairo. Die Umsetzung der Androhung
hätte verheerende Folgen über die Region hinaus, sagte Jussef
laut Nachrichtenagentur AP. Insbesondere die USA und der UN-Sicherheitsrat
müßten Israel an der Ausweisung Arafats hindern. Auch der jordanische
Außenminister Marwan Muaschar kritisierte Israel scharf. »Eine
Ausweisung würde den ganzen Nahen Osten in einen gefährlichen
Tunnel verwandeln«, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Petra.
Harsche Kritik an Israels Arafat-Order gab es zudem in Malaysia. Das
südostasiatische Land hat derzeit den Vorsitz der Organisation der
Islamischen Konferenz (OIC) inne. Israel werde in seinen Aktionen zunehmend
arroganter, kritisierte Außenminister Syed Hamid Albar. Er rief
die Großmächte dazu auf, Israel von einer Umsetzung der Arafat-Ausweisung
abzuhalten. Doch so weit wollen diese bei aller Kritik nicht gehen. In
keinem Fall wurden Israel von den mächtigen Staaten Konsequenzen
angedroht. Im Gegenteil: Seit Freitag wird die palästinensisch-islamische
Hamas-Bewegung auf Wunsch Israels nicht nur in den USA, sondern auch in
der Europäischen Union als terroristische Organisation verfolgt.
Direktes Verständnis für die jüngste israelische Entschließung
gab es in Washington. Der Sprecher des Außenministeriums, Richard
Boucher, erklärte, Arafat sei »Teil des Problems und nicht
Teil der Lösung«. Aus taktischen Gründen soll Israel aber
auf die Exekution des Ausweisungsbeschlusses verzichten: Eine Abschiebung
würde dem palästinensischen Präsidenten nur eine neue Bühne
gegeben, so Boucher. Die israelische Erziehungsministerin Lilmor Liwnat
ließ es sich dennoch nicht nehmen, auf den gutgemeinten Ratschlag
des Verbündeten mit scharfen Worten zu reagieren. »Israel nimmt
von Washington keine Befehle entgegen«, sagte sie am Freitag. Sie
verglich Arafat mit Saddam Hussein und Osama bin Laden und erklärte,
der Palästinenserpräsident habe seine Immunität eingebüßt.
Symbolträchtig wurde die Arafat-Ausweisung denn auch am 11.September
verfügt, dem zweiten Jahrestag der Terroranschläge in New York
und Washington.
In den besetzten Gebieten bekundeten am Freitag Zehntausende Palästinenser
ihre Sympathie und Solidarität mit dem prominentesten Todeskandidaten
der israelischen Armee. Arafat selbst gab sich kämpferisch. »Das
ist mein Heimatland«, sagte er in Ramallah. »Niemand kann
mich hinauswerfen.« Arafat bekräftigte, sich dem Ausweisungsbeschluß
der israelischen Regierung zu widersetzen. Er werde das Land nicht freiwillig
verlassen und rechne damit, ermordet zu werden, sagte er. Der Friedensnobelpreisträger
ist weltweit Symbolfigur für den Kampf gegen Vertreibung und Besatzung.
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