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Vom 11.-16.09 2000 besuchte ich als Vertreter des Freundeskreises Sinn
Fein Bamberg/Lichtenfels mit einer Delegation, die sich aus Vertretern
verschiedener Organisationen (u.a. "Save the Good Friday Agreement
Coalition") zusammensetzte, den Norden Irlands. Im Laufe dieses Besuchs
haben wir Mitglieder verschiedener Organisationen getroffen. Eine detaillierte
Vorstellung dieser Organisationen und die Berichte der anderen Delegationsmitglieder
findet Ihr unter: Irlandinitiative
Heidelberg und Save
the Good Friday Agreement Coalition.
1. Tag
Treffen mit Joe Reilly (Director von C.S.F): Für mich ist
dieses Treffen insbesondere aus menschlicher Perspektive wichtig, da ich
Joe über 2 Jahre nicht mehr getroffen habe. Neben seiner Arbeit für
C.S.F ist Joe gewählter Stadtrat (Navan), Bezirksrat (Meath) und
Mitglied der Parteiexekutive . Joe gibt uns ein politisches Updating.
Er schildert uns, dass aus republikanischer Perspektive das relevanteste
gegenwärtige Thema die Polizeireform ist. Diese ist auch ein wichtiger
Teil des Good Friday Agreement (GFA). Der geringe Anteil Katholiken in
der RUC ist selbst unionistisch, bzw. loyalistisch einzustufen (ca. 5-10%
der Katholiken in den "six counties" unterstützen einen
Verbleib bei Groß-Britannien, ebenso würden ca. 5-10% der Protestanten
für eine irische Vereinigung stimmen ), so dass es sich offensichtlich
keineswegs um eine neutrale Organisation handelt. Die Mehrheit der Nationalisten
(hier handelt es sich um den sogenannten Reform-Nationalismus, der politisch
links einzuordnen ist=Unabhängigkeitsbestreben) sehen die RUC als
den bewaffneten Arm des Unionismus. Die Reform wurde von der Patten-Komission,
einer von der britischen Regierung selbst ins Leben gerufenen Institution,
ausgearbeitet. Sie enthält 175 Punkte. Peter Mandelson, der Nordirland-Minister,
der dem rechten Rand von Labour zuzuordnen ist, intendiert derzeit ca.
140 Punkte des Reformvorschlags zu ignorieren. Joe sagt uns einen "heißen
Herbst" voraus, da die Reform, bzw. was Mandelson davon übrig
lassen will, in Westminster diskutiert wird. Die Unionisten stellen an
Sinn Fein oftmals die (dumme) Frage, ob der Krieg vorbei ist. Es ist evident,
dass ein wichtiger Schritt in Richtung Frieden die Ablösung einer
sektiererischen Truppe durch eine neutrale Polizei ist.
Besuch des Pat Finucane Centers (Menschenrechtsorganisation):
Shane, ein Mitarbeiter des Centers, gibt uns eine Einführung in die
Arbeit des Centers. Auf Grund der Tatsache, dass die RUC jährlich
für ca. 5000 Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird,
ist auch für das PFC ist die Polizeireform von äußerster
Relevanz. Ein weiterer Arbeitsbereich ist es die "collusion",
die Zusammenarbeit zwischen RUC und loyalistischen Todesschwadronen wie
der UDA/UFF, weiter aufzudecken. Bezeichnend für die Nähe zwischen
diesen Organisationen ist ein Interview mit dem ehemaligen UFF-Mitglied
Bobby Philpott im Guardian, welcher am 3.3.1999 erschien. Dieser äußerte,
dass er von der RUC und der britischen Armee so viele Informationen über
Republikaner erhielt, dass er nicht mehr wusste, wo er diese unterbringen
soll. Viele der Denunzierten wurden später durch die UFF getötet.
Zur Zeit ist Shane hauptsächlich damit beschäftigt, sektiererische
Übergriffe, die meist im Zusammenhang mit der loyalistischen "Fehde"
stattfinden, festzuhalten. Kritiker werfen dem Center hier vor, einseitig
zu argumentieren. Hierzu äußert sich Shane folgendermaßen
:" Wir versuchen alle diese Übergriffe festzuhalten. Während
jedoch Übergriffe von Nationalisten auf Loyalisten die Ausnahme darstellen
(bspw. als einige betrunkene Jugendliche Hallen des Oranierordens in Brand
gesetzt haben, was Sinn Fein auf das Schärfste verurteilt hat, Anm.
Verfasser), sind Übergriffe von Loyalisten auf Loyalisten und Nationalisten
nahezu an der Tagesordnung."
Während die IRA eine Deeskalationspolitik betreibt, die sich bspw.
dadurch ausdrückt, dass man auch bei den Gedenkfeiern zum Osteraufstand
1916 nicht mehr öffentlich auftritt und man die einzige Organisation
ist, die Waffenlager kontrollieren lässt, heizen Loyalisten wie der
mittlerweile wieder inhaftierte Johnny Adair und Michael Stone die gespannte
Lage an. Beide sind Mitglieder der UDA/UFF, einer Organisation, die von
der britischen Armee mit Waffen ausgestattet, von der (damaligen) britischen
Regierung (zumindest) dadurch unterstützt wurde, dass man sie jahrelang
nicht verbot. Vielerseits wird davon ausgegangen, dass sie mit Hilfe der
Letzteren ins Leben gerufen wurde. Bei der UDA/UFF handelt es sich hierbei
um eine rechtsextreme Organisation. Als bspw. das UDA-Mitglied Stephen
McKeag vor einigen Wochen begraben wurde, trug ein Mann einen Kranz mit
der Aufschrift C-18: Eine Solidaritätsbekundung der faschistischen
englischen Organisation Combat 18.
Adair und Stone traten öffentlich mit maskierten Männern auf
einer für Sie errichteten Bühne auf, die nach den oben erwähnten
Gewalttaten Freudenschüsse in die Luft entrichteten. Der Oranierorden
bot Adair darüber hinaus ein "wunderbares Forum" seinen
Katholikenhaß öffentlich kund zu tun. An den Bildern die Adair
und seine "mutigen Kampfegnossen" hinter maskierten LVF'lern
zeigen, kamen auch die einseitig berichtenden Medien nicht vorbei. Adair
machte sich mit der Begründung für seine Drohung, die UFF würde
wieder Katholiken erschiessen, falls die Übergriffe gegen Protestanten
nicht aufhören, lächerlich. Die für die Wohnsituation zuständige
Institution in Nordirland publizierte kurz nach dieser Behauptung die
Liste der diesjährigen sektiererischen Übergriffe. Alle richteten
sich gegen Häuser, die von Katholiken bewohnt werden. Als Adair des
weiteren behauptete, dass Republikaner ihn mit einer Bombe töten
wollten, musste selbst die loyalistische RUC zugestehen, dass es sich
hier um das Werk von Loyalisten handle, wahrscheinlich selbst von der
UFF insziniert.
Den Abend lassen wir mit Shane und Paul, einem weiteren Mitarbeiter des
PFC, in einem Pub ausklingen. Das PFC erhält keine staatliche Förderung
und die Aufrechterhaltung der Arbeit ist demzufolge an Spenden geknüpft.
Shane erzählt, dass sich die Mitarbeiter niemals sicher sein können,
am Ende des Monats ihr Gehalt zu erhalten.
Mit irischer Live-Musik beenden wir diesen ersten, hochinteressanten Tag.
Fünf weitere sollten folgen.
2. Tag
Bloody Sunday Trust: Die audiovisuelle Vorführung zeitgenössischer
Dokumente gibt hierbei v.a. einen Einblick in die Gefühlsebene damalig
beteiligter Demonstranten, die den von der britischen Armee durchgeführten
Massenmord haut nahe miterlebten . Zu hoffen bleibt, dass nach fast 30
Jahren die Wahrheit ans Licht kommt und die Namen der Ermordeten mit der
neuen Untersuchung endlich reingewaschen wird.
Treffen mit Robbie Mc Veigh: Robbie leitet die Kampagne mit dem
Ziel der Untersuchung der Ermordung der Menschenrechtsanwältin Rosemary
Nelson durch eine unabhängige Kommission (also ohne RUC-Beteiligung).
Wie bei der Ermordung des Anwalts Pat Finucane spricht wieder vieles dafür,
dass die RUC beteiligt war (u.a. bekam Rosemary zahlreiche Morddrohungen
von der RUC). Hier hat, hält man sich vor Augen wie die britische
Regierung ihre "Sicherheitskräfte" deckt, die Arbeit Früchte
getragen. So setzt sich die EU ebenfalls für eine unabhängige
Kommission ein.
Ein wichtiger Diskussionspunkt der Question and Answer Session
(mit Paul und Robbie), die Arbeit von Community Restorative Justice (CRJ),
tangiert die Aktivitäten des PFC nur indirekt. Aus bereits dargestellten
Gründen lehnen es die Bewohner irisch-nationalistischer Gebiete in
aller Regel ab, bei Straftaten die RUC zu informieren. Diese instrumentalisiert
derartige Delikte für eigene Zwecke u.a. dadurch, dass den Delinquenten
Straffreiheit, bzw. -minderung bei Spitzeldiensten für die RUC zugesagt
wird. In den letzten dreißig Jahren brachten Republikaner zahlreiche
Vorschläge ein, um Lösungen auf "community-Ebene"
zu finden. Die Organisation CRJ wurde im Zusammenhang mit dieser Problematik
ins Leben gerufen. Sie besteht aus gewählten Vertretern etwa von
Stadtbezirken, die auf friedlichem Wege einen Ausgleich zwischen Tätern
und Opfern herbeiführen sollen. Falls deren Versuch eine Übereinkunft
zwischen den Betroffenen zu finden fehlschlägt, wäre das radikalste
Mittel die Ächtung eines uneinsichtigen Straftäters durch die
community. Einen "wichtigen Beitrag", dass diese Organisation
bis heute jedoch nur in wenigen Gebieten ihre Arbeit aufnehmen konnte,
leistete paradoxerweise die (noch) größte nationalistische
Partei SDLP. Diese stimmte in zahlreichen Councils gegen die Institutionalisierung
von Restauration of Justice.
3. Tag
Morgens erreichen wir das neue Sinn Fein-Büro. Tom Holland von Sinn
Fein International berichtet über die Organisationen, von denen
wir in den nächsten beiden Tagen Mitglieder treffen werden.
Ein wichtiger Gesprächspunkt ist des weiteren seine Arbeit für
das Ardoyne
Commemoration Project. Er erzählt über die typischen Ausreden
der "securocrats" (von den Republikanern ins Leben gerufene,
abwertendes Wort für Sicherheitskräfte) nach dem sie Zivilisten
ermordeten. Als sie bspw. vor einigen Jahren eine Frau aus Ardoyne töteten,
gaben sie erst bekannt, es handle sich um eine IRA-Mitglied. Nachdem publik
wurde, dass die Frau über 70 Jahre alt gewesen war, wurde die "Rechtfertigung"
wie so oft schnell mal abgeändert. Es waren eben schwere Krawalle
in der Gegend.
Interessant ist hierbei, dass sich mittlerweile häufiger britische
Soldaten (auch bei Sinn Fein) melden, die solche "Pseudo-Legitimationen"
klarstellen, und berichten, was sich wirklich ereignet hat.
Relatives for Justice (Organisation, die sich primär für
die Belange der Opfer des Staatsterrors im Norden und deren Hinterbliebenen
einsetzt): Erschütternd sind die Schilderungen eines Mannes dessen
Frau in der 80er Jahren von der RUC durch ein Plastikgeschoss vor ihrer
Haustür ermordert wurde. Die RUC versuchte diesen Mord dadurch zu
legitmieren, dass Krawalle in der Straße stattfanden und sie "aus
Versehen" getroffen wurde (diese Pseudo-Begründung kommt uns
irgendwie bekannt vor; eine weitere, wenn die "securocrats"
in ein fahrendes Auto feuerten, ist, dass eine Sperre durchbrochen wurde).
Erschreckend ist weiterhin, dass kanadische Journalisten den Vorfall mit
einer Kamera aufgenommen haben. Die Augenzeugenberichte von Bewohnern,
es gab keine Krawalle, die Frau wurde demzufolge Opfer eines sektiererischen
Mordes durch die RUC, wurden dadurch klar unterstrichen. Trotz der aufgezeigten
Evidenz wurde der mordende RUC-Officer freigesprochen und konnte seinen
Dienst fortführen. Was dem Hinterbliebenen, mehrfacher Familienvater,
bleibt, ist sein Leid mit anderen Hinterbliebenen von Opfern des Staatsterrors
zu teilen, Aufklärungsarbeit zu leisten und jene, die primär
auf Grund der Einschüchterung durch die "securocrats" noch
nicht den Mut fanden an die Öffentlichkeit zu gehen, zu unterstützen.
Hierbei handelt es sich keineswegs um Einzelfälle, wie uns britische
Institutionen glauben machen wollen, sondern um ca. 450-500 Getötete,
überwiegend Zivilisten, und mehrere Tausend Verletzte, Opfer der
"collusion" nicht berücksichtigt. Mitglieder der "state
forces" saßen hierfür insgesamt lediglich für 20
Jahre ein.
Welche Erniedrigung muß es für die Hinterbliebenen irisch-nationalistischer
Opfer sein, es ertragen zu müssen, dass sektiererische Mörder
in der RUC oftmals schon Tage nach ihrer Tat wieder "im Dienst der
Königin" ihre Arbeit fortführen.
Hier zeigt sich die Perversion der Opferhierarchie durch konservative
britische Politiker, Unionisten und Loyalisten. Diese instrumentalisieren
die Rolle der Hinterbliebenen von Opfern republikanischer Taten, indem
sie auf deren Gefühle hinweisen, wenn "republikanische Terroristen"
wieder freigelassen werden.
Die Gefühle der Hinterbliebenen irisch-nationalistischer Opfer haben
die Unionisten und Loyalisten noch nie interessiert. Die Opfer sind eben
nur Iren, nur Opfer zweiter Klasse.
Beide communities haben gelitten, viele Familien wurden tangiert. Niemand
hat das Recht die Opferrolle für sich zu privilegieren.
4. Tag
Falls Womens Center: Die Frauen kümmern sich meist um "allgemeine
gesellschaftliche Probleme", bzw. die damit verbundenen Implikationen,
wie Drogenmißbrauch, Unterstützung von Vergewaltigungsopfern,
Erziehungshilfe, führen aber auch Weiterbildungsmaßnahmen durch,
leisten demnach ebenso eine äußerst wichtige Arbeit in der
community. Sie diskutieren diese Sachverhalte auch mit den Frauen aus
der loyalistischen Shankill Road. Allerdings muß man hier anfügen,
dass Letztere es wesentlich schwieriger haben, da Frauen in der loyalistischen
community niemals die Rolle gespielt haben, als jene in der Nationalistischen.
Coiste na n-Iarchimi (republikanische Ex-Gefangenen-Organisation):
Wir treffen Jackie Mc Mullan. Jackie war 16 Jahre lang ein politischer
Gefangener und wurde 1992 aus Long Kesh entlassen. Er wurde kurz vor dem
"Great Escape", der Massenflucht republikanischer Gefangener,
in einen anderen Block verlegt. "Das schlechteste timing meines Lebens"
wie er lachend anmerkt.
Die Reintegration der Ex-Gefangenen ist ein relevanter Teil des GFA. Prinzipiell
müsste also auch die britische Regierung die Arbeit der Organisation
unterstützen, was sie jedoch nicht tut. Auch die SDLP, so Jackie,
ignoriert die Belange der ca. 15.000 republikanischen "Ex-POW's"
(Prisoners of War), die insgesamt 100.000 Jahre abgesessen haben.
Viele von den ihnen haben die Tat, für die sie eingeknastet wurden,
nicht begangen.
Jene, die die entsprechende Tat begangen haben, mussten sich die Frage
stellen, ob sie, während sie keine wirkliche Möglichkeit hatten,
Veränderung über eine institutionalisierte soziale Bewegung
oder politisch herbeizuführen, die mit Waffengewalt aufrecht erhaltene
Struktur in den "six counties" mit dem selben Mittel bekämpfen
sollten. Eine Frage, mit der bei uns niemand konfrontiert wird.
Diese Alternativlosigkeit rührt u.a. daher, dass die NICRA, eine
Bürgerrechtsorganisation, Anfang der 70er Jahre brutal niedergeschlagen
wurde. Sinn Fein wurde geächtet, Politiker zensiert, aus der Arbeit
in den Councils systematisch ausgeschlossen.
Für die "Ex-POW's" gelten viele gesellschaftliche Problematiken
in potenzierter Form. Die Arbeitslosigkeit unter diesem Kollektiv beträgt
über 70%. Darüber hinaus müssen sie mit entfremdeten Familienverhältnissen
zurechtkommen. Schlechte Zukunftsaussichten haben sie auch, da die Freilassung
keineswegs Amnestie bedeutet und sie demzufolge als vorbestraft gelten.
Dies schränkt die Aussicht eine Anstellung zu erhalten weiter ein.
Demzufolge muß es als republikanisches Ziel gelten Amnestie für
die "Ex-POW's" zu erwirken und auch jenen, die sich immer noch
auf de Flucht befinden, Straffreiheit zuzusichern.
Den Abend lassen wir im Felons Club, einem republikanischen Social
Club, ausklingen. Wieder sind wir angetan von der Offenheit. Während
oft behauptet wird, Republikaner würden sich verstockt geben, bekommen
wir genau das Gegenteil mit. Sie suchen oftmals das Gespräch, respektieren
das Interesse Externer. Ich muß ( total erschöpft) "kapitulieren"
und gehe als erstes nach Hause.
5. Tag
Am morgen besuchen wir Stormont. Als wir die Treppe hinaufgehen
sehe ich an einem Fenster einen Union-Jack: Hier residiert also die rechtsextreme
DUP.
Dennis, ein Mitarbeiter von Sinn Fein, holt uns ab und führt uns
in ein Arbeitszimmer der Partei.
Dennis bezeichnet Stormont als "Mickey Mouse Parlament", da
es in vielen Bereichen keine Entscheidungsgewalt hat. Es dient primär
dazu zu zeigen, ob man in der Lage ist mit der "anderen Seite"
die Macht zu teilen, bzw. zu kooperieren. Dass fast 50% der unionistischen,
bzw. loyalistischen Parlamentsmitglieder das GFA ablehnen, aber auch viele
der "Pro-Unionisten" Teile des Abkommens (v.a. die Entwaffnung
der IRA, die diese nie zugesagt hat) gegen andere (v.a. Teilung der Macht)
instrumentalisieren, zeigt, dass die Unionisten/Loyalisten es größtenteils
nicht sind.
Auch Trimble wollte von Anfang an eine Beteiligung von Sinn Fein an der
Regierung und an Friedensgesprächen überhaupt verhindern. Noch
während die Friedensverhandlungen liefen, erwirkte er auf Grund eines
Verdachtes der RUC, die IRA hätte den Waffenstillstand gebrochen,
was sich später als falsch herausstellte, einen Ausschluß von
Sinn Fein. Auch an der Durchsetzung der temporären Suspendierung
der Regierung war Trimble maßgeblich beteiligt. Dass diese ihre
Arbeit wieder aufnehmen konnte ist v.a. dem internationalen Druck und
dem IRA-Zugeständnis (Kontrolle von Waffenlagern) zu verdanken.
Er äußert oft die Phrase, es sei eine Zumutung die Regierung
mit einer Partei zu bilden die ihre "Privatarmee" unterhält.
Dass dies nichts weiter als eine Ausrede für seine ewig gestrige
Blockadepolitik ist, zeigt eine "Aktion" vor einigen Wochen.
Trimble konnte eine Reihe von Personen für eine relevante Institution,
dem "Civic Forum", auswählen. Seine erste Wahl fiel auf
Gary McMichael. Dieser ist Chef der UDP, einer Partei, die sich selbst
als politischen Arm der UDA/UFF sieht. Letztere, offiziell im Waffenstillstand,
ist für zahlreiche Greueltaten in den letzten Monaten verantwortlich
(s.o.).
Dennis berichtet vorwiegend über das Verhältnis mit den unionistischen
bzw. loyalistischen Parteien, die oftmals, wie das Beispiel DUP zeigt,
öffentlich vorgeben sich nicht mit den Republikanern zu treffen,
was in der Realität keineswegs der Fall ist.
Er weist uns darauf hin, dass die DUP, die die Regierung am vehementesten
ablehnt, sich hier sehr wohl fühlt. Dies liegt v.a. an "Einrichtungen"
wie Staatskarossen und Leibwächtern, für Sinn Fein eher ein
notwendiges Übel.
Garvaghy Road Residents Coalition: Brendan klärt uns über die
Geschichte der Märsche auf. Ein weiteres Mitglied der GRRC erzählt
uns über das Leben und die Erfahrungen von Katholiken in Portadown.
Erschreckend ist ihre Erzählung über ein Treffen mit dem Oranierorden.
Dieser Orden, der sich in der Öffentlichkeit als liberale Organisation
darstellt, hat es damals zum Einen abgelehnt direkt mit den katholischen
Vertretern zu reden. Zum Anderen weigerten sich die Vertreter des Oranierordens
die selben Toiletteneinrichtungen wie die Repräsentanten der Koalition,
damals vorwiegend katholische Frauen, zu benutzen: Kaum rassistisch.
Das alltägliche Leben bedeutet für die Katholiken auch, dass
sie sich aus Angst vor Übergriffen nicht mehr nach fünf Uhr
abends in die Innenstadt trauen können. Als Robert Hamill dies 1997
tat, wurde er von ca. 30 Loyalisten zu Tote getreten. Die RUC hat damals
diesen Vorfall beobachtet ohne einzugreifen. Als Vertreter der GRRC Tony
Blair die Einzelheiten dieses Falles vorgetragen haben, lehnte er einen
Vergleich mit dem rassistischen Mord an Steven Lawrence in London ab und
zeigte Verständnis für das Verhalten der RUC.
Aussagen von Blair zum Machtwechsel in Jugoslawien, dass nun endlich die
Demokratisierung eingeleitet wird, während in dem Teil Irlands, auf
den Groß-Britannien immer noch Anspruch erhebt, anti-demokratische
Verhältnisse bestehen, avancieren hier zur Farce.
Die beiden Vertreter der Koalition berichten uns des weiteren über
die schmutzige Propaganda der Unionisten/Loyalisten, der "securocrats"
und der konservativen britischen Presse. Diese behaupteten u.a. Brendan
würde die Demonstranten bezahlen (mit der unglaublichen Summe von
einem Pfund). Als bräuchte es irgend einen weiteren Anreiz gegen
die Situation zu demonstrieren, dass ein sektiererischer Orden, anti-irische,
rassistische Sprüche und Lieder grölend, ihre Straßen
überquert. Bewohner werden brutalst in Nebenstraßen gedrängt,
gegen sie wird mit Plastikknüppeln und -geschossen vorgegangen. Jedem,
der die Bilder gesehen hat, weinende Mädchen mit blutüberströmten
Gesichtern, verprügelt von den mutigen Vertretern der "königlichen
Polizei von Ulster", wird klar, wie lächerlich diese weitere
Komponente (pro-) britischer Propaganda ist.
Crossmaglen: Crossmaglen ist eine republikanische Hochburg ca.
10 Kilometer von der Grenze entfernt. In South Armagh, dem Gebiet in dem
"Cross" liegt, kommt auf 8 Bürger ein britischer Soldat.
Es ist eines der höchst militarisiertesten Gebiete Europas. Als wir
die Straße zum Marktplatz hinauffahren, sehen wir britische Soldaten
patrouillieren. Aus unserem Radio ertönt das Lied "Go on home
British Soldiers". Die Situationskomik veranlasst uns zum Gelächter.
Ich blicke in die Gesichter der jungen Soldaten, die schwerbewaffnet an
kleinen Kindern vorbeigehen, provokativ in jedes Auto blicken. Glauben
sie wirklich die Floskeln ihrer Vorgesetzten, sie schützen die (hier
primär republikanische) Bevölkerung vor der Irisch Republikanischen
Armee?
Für die Menschen hier hat sich nur eines geändert: Während
vor einigen Jahren die britische Armee nicht patrouillierte, beginnt sie
gerade während des Waffenstillstandes damit. Die Forderung nach einer
IRA-Entwaffnung stößt hier verständlicherweise auf wenig
Wohlwollen.
Wir fahren zu Freunden, wo wir die nächsten beiden Tage übernachten.
Eileen, die Frau eines Sinn Fein Councillors, empfängt uns. Es ist
schön die Familie wiederzusehen. Eileen "weist die anderen darauf
hin", dass ihr Haus mein zweites Heim ist. Wie recht Sie hat. Die
Herzlichkeit der Menschen hier zieht mich immer wieder magisch an. Eileen
erzählt uns über ihren Bruder Danny MacNamee, der für eine
IRA-Bombe in England Anfang der 80er Jahre verantwortlich gemacht wurde.
Danny war daran nicht beteiligt, was ein britisches Gericht vor zwei Jahren
zugestehen musste. 16 Jahre lang im Knast, damit die britische Justiz
der Bevölkerung einen Schuldigen vorweisen konnte.
Als wir am Abend das schönste Pub (Mc Kearneys) in "Cross"
besuchen, schlagen plötzlich die Emotionen über. Zum Fernsehapparat
blickend vernehmen wir enthusiastisches Grölen der Gäste. Hat
Groß-Britannien endlich verkündet, dass es sich aus Irland
zurückzieht? Nein, es läuft nur "Big Brother".
6. Tag
Während die Anderen sich die Gegend anschauen genieße ich "Cross",
genehmige mir ein Pint und halte einen Plausch mit den Brennans. Den Abend
lassen wir mit einem Gaelic Football-Spiel angehen. Das Fort mit
RUC und britischer Armee ist direkt vor dem Spielfeld. Wir beneiden die
"Brits" um die Aussicht auf den Platz.
Als sich die Spieler vor Spielbeginn zur irischen Trikolore drehen und
der "Soldiers Song" erklingt, läuft es mir eiskalt den
Rücken herunter. Die Provokation der "Brits" lässt
nicht lange auf sich warten. Nach der Pause startet ein Helikopter, fliegt
im Tiefflug über das Spielfeld, fliegt eine Runde über die wunderschöne
Landschaft, die sie mit ihren "spyposts" verschandelt haben
und landet wieder im Fort. Die Prozedur wird zweimal wiederholt.
Den späteren Abend verbringen wir bei der Irish Night in Camlough.
Wir treffen Declan einem "Sinn Feiner", dessen Bekanntschaft
wir in Stormont gemacht haben wieder, und lassen den Urlaub bei irischer
Rebellen-Musik ausklingen.
Schlußbemerkung
Aus meiner Perspektive war die Woche brillant. Wir haben uns in der Gruppe
super verstanden. Ich hoffe, dass wir eine ähnliche Reise wiederholen
werden.
Einige jener, die nicht dabei waren und diesen Bericht lesen, werden mir
wahrscheinlich vorwerfen, die Treffen nicht neutral beurteilt zu haben.
Doch was bedeutet "Neutralität"? Würden diese Personen
Kritik an der Unterdrückung der dunkelhäutigen Bevölkerung
in Südafrika als perspektivistisch einstufen? Wohl kaum. Warum dann
in Bezug auf die "six counties"? Dies ist einfach zu beantworten.
In Südafrika war die Situation, v.a. medial, eindeutig darstellbar.
Als Abgrenzungskriterium diente die Hautfarbe: Die weißen Unterdrücker
gegen die schwarzen Unterdrückten. Im Norden Irlands ist dies komplexer.
Ob jemand pro-irisch oder pro-britisch ist, kann man ihm nicht ansehen.
So wird die Tatsache, dass die irischen Ureinwohner (irisch-nationalistisch),
primär katholischen Glaubens sind und die angesiedelten Engländer
und Schotten (unionistisch/loyalistisch) vorwiegend protestantisch, oftmals
von den Medien derartig verfälscht, als handle es sich um einen Religionskrieg.
Die beiden pro-irischen Parteien sind jedoch keineswegs anti-protestantisch.
Sinn Fein fordert bspw. eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion.
Überdenke ich die Treffen, so kann man meine Gefühle mit drei
Worten ausdrücken: Erschütterung, Frustration und Hoffnung.
Erschütterung muß wohl nicht näher erläutert werden.
Frustriert bin ich, da ich sehe, wie Politiker und die Bevölkerung
bei uns die Geschehnisse ignorieren. Wie die "Sicherheitskräfte"
vorgehen können, ohne dass sich viele daran stören: Sie können
Menschen auf offener Straße erschießen ohne dafür belangt
zu werden. Eine große Schuld tragen hier die Medien, die sich auf
die IRA "eingeschossen" haben. Die IRA, deren Mitglieder jene
bekämpften, die den sektiererischen Staat aktiv aufrecht erhalten,
also primär militärische Ziele angegriffen haben (darüber
hinaus sollte die britische Ökonomie geschwächt werden), wird
als terroristische Organisation tituliert. Die "securocrats",
die auf offener Straße "Shoot-to-kill-Aktionen" durchführen
und die pro-irische Bevölkerung systematisch unterdrücken und
einschüchtern, führen einen Kampf gegen den Terrorismus durch.
Kinder, die mit Plastikgeschossen ermordet werden: Kampf gegen den Terrorismus.
Alte Frauen, die vor Ihrer Haustür ermordet werden: Kampf gegen den
Terrorismus.
Oftmals wird der Oranierorden als liberale, traditionsbewußte Organisation
dargestellt. Ein Orden deren Mitglieder sich weigern, die selbe Toilette
wie katholische Frauen zu benutzen. Ein Orden der mit der faschistischen
Combat 18 durch London zieht und vor der Kamera den Hitler-Gruß
tätigt (wie 1998 passiert).
Und kaum einer wagt es einen britischen Politiker für die Legitimation
der Unterdrückung anzugreifen. "Blame it all on the kids and
the IRA", wie schon John Lennon in einem seiner Lieder über
den Krieg im Norden schrieb.
Allen, die mit der republikanisch-sozialistischen Bewegung sympathisieren,
sei an dieser Stelle Mut gemacht: Natürlich dürfen wir unsere
eigene Identität und grauenvolle Geschichte niemals vergessen. Gerade
in einer Zeit fast täglicher rechtsextremer Übergriffe gegen
unsere ausländischen Mitbürger und Freunde müssen wir uns
schützend vor diese stellen. Widerstand leisten gegen rassistische
Hohlköpfe.
Genauso falsch ist es jedoch, nicht über die eigenen Grenzen hinauszublicken.
Rassismus ist allgegenwärtig. Lediglich die Intensität ist unterschiedlich
und manchmal auch die Farbe. Bei uns ist er braun, im Norden Irlands Orange.
Wir, die Interesse für unterdrückte Kollektive in anderen Ländern
zeigen, dürfen uns nicht in eine Defensive drängen lassen. Diejenigen,
die Südafrika geschehen lassen. Diejenigen, die Nordirland geschehen
lassen. Diejenigen, die Unterdrückung und Diskriminierung geschehen
lassen. Diejenigen haben sich zu rechtfertigen.
Doch die Woche hat auch viel Hoffnung in mir geweckt. All diese Organisationen
tragen dazu bei, den Menschen eine Leben mit der Situation zu erleichtern.
Sie tragen dazu bei, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Der Terror der
"securocrats", der Rassismus rechter Unionisten und Loyalisten,
die "collusion", die Legitimation der Verhältnisse durch
die ehemalige konservative britische Regierung.
All diese Organisation tragen letztlich dazu bei, dass irische Nationalisten,
Bürger, die in diesem Unrechtsstaat aufgewachsen sind, sich nicht
mehr die Frage stellen müssen, ob sie mit Waffengewalt dagegen vorgehen
sollen.
Hoffnung macht mir Sinn Fein, eine Partei, die die Intentionen obiger
Organisationen unterstützt, die selbstkritisch ist, sozialistisch,
anti-rassistisch, anti-imperialistisch.
Staatliche Repression, 20.000 britische Soldaten, 12.000 RUC-Mitglieder,
antidemokratische Gesetze, eine von Unionisten und Loyalisten dominierte
Justiz, Zensur und mediale Ächtung haben es nicht geschafft, die
Republikaner in die Knie zu zwingen. Die Wahlerfolge der letzten Jahre
und die Tatsache, dass einflußreiche Institutionen im Ausland, bspw.
das "International Relations Commitee of the United States Congress",
wichtige republikanische Positionen unterstützen, beweisen, dass
die Strategie fortwährend Früchte trägt. Diese Institution,
ebenso wie Al Gore und Bill Clinton, forderte Mandelson unzweideutig auf,
den "Patten-Bericht" vollständig zu implementieren.
Ich wünsche den irischen Republikanern von ganzen Herzen, dass nach
jahrhundertenlangem Widerstand gegen das Unrecht ihr Traum in Erfüllung
geht ein unabhängiges Irland zu kreieren. Ein demilitarisiertes Irland,
ein Irland in denen die Menschen unabhängig von der Identität,
vom Glaube, Geschlecht und der Hautfarbe gleichberechtigt leben können.
Ich bin mir sicher, dass dieser Tag kommen wird, dass euer Tag kommen
wird.
Unionisten, Loyalisten und britische Konservative werden dies nicht verhindern
können. Sie werden es nur verzögern können: Der Tag an
dem Groß-Britannien seine letzte Kolonie verliert wird einer der
Tage sein, an dem die Freiheit wieder einmal gegen die Ungerechtigkeit
gesiegt hat.
Freundeskreis Sinn Fein, Bamberg/Lichtenfels
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