Irisch Republikanische Solidarität








TC

Vom 11.-16.09 2000 besuchte ich als Vertreter des Freundeskreises Sinn Fein Bamberg/Lichtenfels mit einer Delegation, die sich aus Vertretern verschiedener Organisationen (u.a. "Save the Good Friday Agreement Coalition") zusammensetzte, den Norden Irlands. Im Laufe dieses Besuchs haben wir Mitglieder verschiedener Organisationen getroffen. Eine detaillierte Vorstellung dieser Organisationen und die Berichte der anderen Delegationsmitglieder findet Ihr unter: Irlandinitiative Heidelberg und Save the Good Friday Agreement Coalition.

1. Tag
Treffen mit Joe Reilly (Director von C.S.F): Für mich ist dieses Treffen insbesondere aus menschlicher Perspektive wichtig, da ich Joe über 2 Jahre nicht mehr getroffen habe. Neben seiner Arbeit für C.S.F ist Joe gewählter Stadtrat (Navan), Bezirksrat (Meath) und Mitglied der Parteiexekutive . Joe gibt uns ein politisches Updating. Er schildert uns, dass aus republikanischer Perspektive das relevanteste gegenwärtige Thema die Polizeireform ist. Diese ist auch ein wichtiger Teil des Good Friday Agreement (GFA). Der geringe Anteil Katholiken in der RUC ist selbst unionistisch, bzw. loyalistisch einzustufen (ca. 5-10% der Katholiken in den "six counties" unterstützen einen Verbleib bei Groß-Britannien, ebenso würden ca. 5-10% der Protestanten für eine irische Vereinigung stimmen ), so dass es sich offensichtlich keineswegs um eine neutrale Organisation handelt. Die Mehrheit der Nationalisten (hier handelt es sich um den sogenannten Reform-Nationalismus, der politisch links einzuordnen ist=Unabhängigkeitsbestreben) sehen die RUC als den bewaffneten Arm des Unionismus. Die Reform wurde von der Patten-Komission, einer von der britischen Regierung selbst ins Leben gerufenen Institution, ausgearbeitet. Sie enthält 175 Punkte. Peter Mandelson, der Nordirland-Minister, der dem rechten Rand von Labour zuzuordnen ist, intendiert derzeit ca. 140 Punkte des Reformvorschlags zu ignorieren. Joe sagt uns einen "heißen Herbst" voraus, da die Reform, bzw. was Mandelson davon übrig lassen will, in Westminster diskutiert wird. Die Unionisten stellen an Sinn Fein oftmals die (dumme) Frage, ob der Krieg vorbei ist. Es ist evident, dass ein wichtiger Schritt in Richtung Frieden die Ablösung einer sektiererischen Truppe durch eine neutrale Polizei ist.

Besuch des Pat Finucane Centers (Menschenrechtsorganisation): Shane, ein Mitarbeiter des Centers, gibt uns eine Einführung in die Arbeit des Centers. Auf Grund der Tatsache, dass die RUC jährlich für ca. 5000 Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird, ist auch für das PFC ist die Polizeireform von äußerster Relevanz. Ein weiterer Arbeitsbereich ist es die "collusion", die Zusammenarbeit zwischen RUC und loyalistischen Todesschwadronen wie der UDA/UFF, weiter aufzudecken. Bezeichnend für die Nähe zwischen diesen Organisationen ist ein Interview mit dem ehemaligen UFF-Mitglied Bobby Philpott im Guardian, welcher am 3.3.1999 erschien. Dieser äußerte, dass er von der RUC und der britischen Armee so viele Informationen über Republikaner erhielt, dass er nicht mehr wusste, wo er diese unterbringen soll. Viele der Denunzierten wurden später durch die UFF getötet.
Zur Zeit ist Shane hauptsächlich damit beschäftigt, sektiererische Übergriffe, die meist im Zusammenhang mit der loyalistischen "Fehde" stattfinden, festzuhalten. Kritiker werfen dem Center hier vor, einseitig zu argumentieren. Hierzu äußert sich Shane folgendermaßen :" Wir versuchen alle diese Übergriffe festzuhalten. Während jedoch Übergriffe von Nationalisten auf Loyalisten die Ausnahme darstellen (bspw. als einige betrunkene Jugendliche Hallen des Oranierordens in Brand gesetzt haben, was Sinn Fein auf das Schärfste verurteilt hat, Anm. Verfasser), sind Übergriffe von Loyalisten auf Loyalisten und Nationalisten nahezu an der Tagesordnung."
Während die IRA eine Deeskalationspolitik betreibt, die sich bspw. dadurch ausdrückt, dass man auch bei den Gedenkfeiern zum Osteraufstand 1916 nicht mehr öffentlich auftritt und man die einzige Organisation ist, die Waffenlager kontrollieren lässt, heizen Loyalisten wie der mittlerweile wieder inhaftierte Johnny Adair und Michael Stone die gespannte Lage an. Beide sind Mitglieder der UDA/UFF, einer Organisation, die von der britischen Armee mit Waffen ausgestattet, von der (damaligen) britischen Regierung (zumindest) dadurch unterstützt wurde, dass man sie jahrelang nicht verbot. Vielerseits wird davon ausgegangen, dass sie mit Hilfe der Letzteren ins Leben gerufen wurde. Bei der UDA/UFF handelt es sich hierbei um eine rechtsextreme Organisation. Als bspw. das UDA-Mitglied Stephen McKeag vor einigen Wochen begraben wurde, trug ein Mann einen Kranz mit der Aufschrift C-18: Eine Solidaritätsbekundung der faschistischen englischen Organisation Combat 18.
Adair und Stone traten öffentlich mit maskierten Männern auf einer für Sie errichteten Bühne auf, die nach den oben erwähnten Gewalttaten Freudenschüsse in die Luft entrichteten. Der Oranierorden bot Adair darüber hinaus ein "wunderbares Forum" seinen Katholikenhaß öffentlich kund zu tun. An den Bildern die Adair und seine "mutigen Kampfegnossen" hinter maskierten LVF'lern zeigen, kamen auch die einseitig berichtenden Medien nicht vorbei. Adair machte sich mit der Begründung für seine Drohung, die UFF würde wieder Katholiken erschiessen, falls die Übergriffe gegen Protestanten nicht aufhören, lächerlich. Die für die Wohnsituation zuständige Institution in Nordirland publizierte kurz nach dieser Behauptung die Liste der diesjährigen sektiererischen Übergriffe. Alle richteten sich gegen Häuser, die von Katholiken bewohnt werden. Als Adair des weiteren behauptete, dass Republikaner ihn mit einer Bombe töten wollten, musste selbst die loyalistische RUC zugestehen, dass es sich hier um das Werk von Loyalisten handle, wahrscheinlich selbst von der UFF insziniert.

Den Abend lassen wir mit Shane und Paul, einem weiteren Mitarbeiter des PFC, in einem Pub ausklingen. Das PFC erhält keine staatliche Förderung und die Aufrechterhaltung der Arbeit ist demzufolge an Spenden geknüpft.
Shane erzählt, dass sich die Mitarbeiter niemals sicher sein können, am Ende des Monats ihr Gehalt zu erhalten.
Mit irischer Live-Musik beenden wir diesen ersten, hochinteressanten Tag. Fünf weitere sollten folgen.


2. Tag
Bloody Sunday Trust: Die audiovisuelle Vorführung zeitgenössischer Dokumente gibt hierbei v.a. einen Einblick in die Gefühlsebene damalig beteiligter Demonstranten, die den von der britischen Armee durchgeführten Massenmord haut nahe miterlebten . Zu hoffen bleibt, dass nach fast 30 Jahren die Wahrheit ans Licht kommt und die Namen der Ermordeten mit der neuen Untersuchung endlich reingewaschen wird.

Treffen mit Robbie Mc Veigh: Robbie leitet die Kampagne mit dem Ziel der Untersuchung der Ermordung der Menschenrechtsanwältin Rosemary Nelson durch eine unabhängige Kommission (also ohne RUC-Beteiligung). Wie bei der Ermordung des Anwalts Pat Finucane spricht wieder vieles dafür, dass die RUC beteiligt war (u.a. bekam Rosemary zahlreiche Morddrohungen von der RUC). Hier hat, hält man sich vor Augen wie die britische Regierung ihre "Sicherheitskräfte" deckt, die Arbeit Früchte getragen. So setzt sich die EU ebenfalls für eine unabhängige Kommission ein.


Ein wichtiger Diskussionspunkt der Question and Answer Session (mit Paul und Robbie), die Arbeit von Community Restorative Justice (CRJ), tangiert die Aktivitäten des PFC nur indirekt. Aus bereits dargestellten Gründen lehnen es die Bewohner irisch-nationalistischer Gebiete in aller Regel ab, bei Straftaten die RUC zu informieren. Diese instrumentalisiert derartige Delikte für eigene Zwecke u.a. dadurch, dass den Delinquenten Straffreiheit, bzw. -minderung bei Spitzeldiensten für die RUC zugesagt wird. In den letzten dreißig Jahren brachten Republikaner zahlreiche Vorschläge ein, um Lösungen auf "community-Ebene" zu finden. Die Organisation CRJ wurde im Zusammenhang mit dieser Problematik ins Leben gerufen. Sie besteht aus gewählten Vertretern etwa von Stadtbezirken, die auf friedlichem Wege einen Ausgleich zwischen Tätern und Opfern herbeiführen sollen. Falls deren Versuch eine Übereinkunft zwischen den Betroffenen zu finden fehlschlägt, wäre das radikalste Mittel die Ächtung eines uneinsichtigen Straftäters durch die community. Einen "wichtigen Beitrag", dass diese Organisation bis heute jedoch nur in wenigen Gebieten ihre Arbeit aufnehmen konnte, leistete paradoxerweise die (noch) größte nationalistische Partei SDLP. Diese stimmte in zahlreichen Councils gegen die Institutionalisierung von Restauration of Justice.

3. Tag
Morgens erreichen wir das neue Sinn Fein-Büro. Tom Holland von Sinn Fein International berichtet über die Organisationen, von denen wir in den nächsten beiden Tagen Mitglieder treffen werden.
Ein wichtiger Gesprächspunkt ist des weiteren seine Arbeit für das Ardoyne
Commemoration Project. Er erzählt über die typischen Ausreden der "securocrats" (von den Republikanern ins Leben gerufene, abwertendes Wort für Sicherheitskräfte) nach dem sie Zivilisten ermordeten. Als sie bspw. vor einigen Jahren eine Frau aus Ardoyne töteten, gaben sie erst bekannt, es handle sich um eine IRA-Mitglied. Nachdem publik wurde, dass die Frau über 70 Jahre alt gewesen war, wurde die "Rechtfertigung" wie so oft schnell mal abgeändert. Es waren eben schwere Krawalle in der Gegend.
Interessant ist hierbei, dass sich mittlerweile häufiger britische Soldaten (auch bei Sinn Fein) melden, die solche "Pseudo-Legitimationen" klarstellen, und berichten, was sich wirklich ereignet hat.


Relatives for Justice (Organisation, die sich primär für die Belange der Opfer des Staatsterrors im Norden und deren Hinterbliebenen einsetzt): Erschütternd sind die Schilderungen eines Mannes dessen Frau in der 80er Jahren von der RUC durch ein Plastikgeschoss vor ihrer Haustür ermordert wurde. Die RUC versuchte diesen Mord dadurch zu legitmieren, dass Krawalle in der Straße stattfanden und sie "aus Versehen" getroffen wurde (diese Pseudo-Begründung kommt uns irgendwie bekannt vor; eine weitere, wenn die "securocrats" in ein fahrendes Auto feuerten, ist, dass eine Sperre durchbrochen wurde).
Erschreckend ist weiterhin, dass kanadische Journalisten den Vorfall mit einer Kamera aufgenommen haben. Die Augenzeugenberichte von Bewohnern, es gab keine Krawalle, die Frau wurde demzufolge Opfer eines sektiererischen Mordes durch die RUC, wurden dadurch klar unterstrichen. Trotz der aufgezeigten Evidenz wurde der mordende RUC-Officer freigesprochen und konnte seinen Dienst fortführen. Was dem Hinterbliebenen, mehrfacher Familienvater, bleibt, ist sein Leid mit anderen Hinterbliebenen von Opfern des Staatsterrors zu teilen, Aufklärungsarbeit zu leisten und jene, die primär auf Grund der Einschüchterung durch die "securocrats" noch nicht den Mut fanden an die Öffentlichkeit zu gehen, zu unterstützen. Hierbei handelt es sich keineswegs um Einzelfälle, wie uns britische Institutionen glauben machen wollen, sondern um ca. 450-500 Getötete, überwiegend Zivilisten, und mehrere Tausend Verletzte, Opfer der "collusion" nicht berücksichtigt. Mitglieder der "state forces" saßen hierfür insgesamt lediglich für 20 Jahre ein.
Welche Erniedrigung muß es für die Hinterbliebenen irisch-nationalistischer Opfer sein, es ertragen zu müssen, dass sektiererische Mörder in der RUC oftmals schon Tage nach ihrer Tat wieder "im Dienst der Königin" ihre Arbeit fortführen.
Hier zeigt sich die Perversion der Opferhierarchie durch konservative britische Politiker, Unionisten und Loyalisten. Diese instrumentalisieren die Rolle der Hinterbliebenen von Opfern republikanischer Taten, indem sie auf deren Gefühle hinweisen, wenn "republikanische Terroristen" wieder freigelassen werden.
Die Gefühle der Hinterbliebenen irisch-nationalistischer Opfer haben die Unionisten und Loyalisten noch nie interessiert. Die Opfer sind eben nur Iren, nur Opfer zweiter Klasse.
Beide communities haben gelitten, viele Familien wurden tangiert. Niemand hat das Recht die Opferrolle für sich zu privilegieren.


4. Tag
Falls Womens Center: Die Frauen kümmern sich meist um "allgemeine gesellschaftliche Probleme", bzw. die damit verbundenen Implikationen, wie Drogenmißbrauch, Unterstützung von Vergewaltigungsopfern, Erziehungshilfe, führen aber auch Weiterbildungsmaßnahmen durch, leisten demnach ebenso eine äußerst wichtige Arbeit in der community. Sie diskutieren diese Sachverhalte auch mit den Frauen aus der loyalistischen Shankill Road. Allerdings muß man hier anfügen, dass Letztere es wesentlich schwieriger haben, da Frauen in der loyalistischen community niemals die Rolle gespielt haben, als jene in der Nationalistischen.


Coiste na n-Iarchimi (republikanische Ex-Gefangenen-Organisation): Wir treffen Jackie Mc Mullan. Jackie war 16 Jahre lang ein politischer Gefangener und wurde 1992 aus Long Kesh entlassen. Er wurde kurz vor dem "Great Escape", der Massenflucht republikanischer Gefangener, in einen anderen Block verlegt. "Das schlechteste timing meines Lebens" wie er lachend anmerkt.
Die Reintegration der Ex-Gefangenen ist ein relevanter Teil des GFA. Prinzipiell müsste also auch die britische Regierung die Arbeit der Organisation unterstützen, was sie jedoch nicht tut. Auch die SDLP, so Jackie, ignoriert die Belange der ca. 15.000 republikanischen "Ex-POW's" (Prisoners of War), die insgesamt 100.000 Jahre abgesessen haben.
Viele von den ihnen haben die Tat, für die sie eingeknastet wurden, nicht begangen.
Jene, die die entsprechende Tat begangen haben, mussten sich die Frage stellen, ob sie, während sie keine wirkliche Möglichkeit hatten, Veränderung über eine institutionalisierte soziale Bewegung oder politisch herbeizuführen, die mit Waffengewalt aufrecht erhaltene Struktur in den "six counties" mit dem selben Mittel bekämpfen sollten. Eine Frage, mit der bei uns niemand konfrontiert wird.
Diese Alternativlosigkeit rührt u.a. daher, dass die NICRA, eine Bürgerrechtsorganisation, Anfang der 70er Jahre brutal niedergeschlagen wurde. Sinn Fein wurde geächtet, Politiker zensiert, aus der Arbeit in den Councils systematisch ausgeschlossen.
Für die "Ex-POW's" gelten viele gesellschaftliche Problematiken in potenzierter Form. Die Arbeitslosigkeit unter diesem Kollektiv beträgt über 70%. Darüber hinaus müssen sie mit entfremdeten Familienverhältnissen zurechtkommen. Schlechte Zukunftsaussichten haben sie auch, da die Freilassung keineswegs Amnestie bedeutet und sie demzufolge als vorbestraft gelten. Dies schränkt die Aussicht eine Anstellung zu erhalten weiter ein.
Demzufolge muß es als republikanisches Ziel gelten Amnestie für die "Ex-POW's" zu erwirken und auch jenen, die sich immer noch auf de Flucht befinden, Straffreiheit zuzusichern.

Den Abend lassen wir im Felons Club, einem republikanischen Social Club, ausklingen. Wieder sind wir angetan von der Offenheit. Während oft behauptet wird, Republikaner würden sich verstockt geben, bekommen wir genau das Gegenteil mit. Sie suchen oftmals das Gespräch, respektieren das Interesse Externer. Ich muß ( total erschöpft) "kapitulieren" und gehe als erstes nach Hause.

5. Tag
Am morgen besuchen wir Stormont. Als wir die Treppe hinaufgehen sehe ich an einem Fenster einen Union-Jack: Hier residiert also die rechtsextreme DUP.
Dennis, ein Mitarbeiter von Sinn Fein, holt uns ab und führt uns in ein Arbeitszimmer der Partei.
Dennis bezeichnet Stormont als "Mickey Mouse Parlament", da es in vielen Bereichen keine Entscheidungsgewalt hat. Es dient primär dazu zu zeigen, ob man in der Lage ist mit der "anderen Seite" die Macht zu teilen, bzw. zu kooperieren. Dass fast 50% der unionistischen, bzw. loyalistischen Parlamentsmitglieder das GFA ablehnen, aber auch viele der "Pro-Unionisten" Teile des Abkommens (v.a. die Entwaffnung der IRA, die diese nie zugesagt hat) gegen andere (v.a. Teilung der Macht) instrumentalisieren, zeigt, dass die Unionisten/Loyalisten es größtenteils nicht sind.
Auch Trimble wollte von Anfang an eine Beteiligung von Sinn Fein an der Regierung und an Friedensgesprächen überhaupt verhindern. Noch während die Friedensverhandlungen liefen, erwirkte er auf Grund eines Verdachtes der RUC, die IRA hätte den Waffenstillstand gebrochen, was sich später als falsch herausstellte, einen Ausschluß von Sinn Fein. Auch an der Durchsetzung der temporären Suspendierung der Regierung war Trimble maßgeblich beteiligt. Dass diese ihre Arbeit wieder aufnehmen konnte ist v.a. dem internationalen Druck und dem IRA-Zugeständnis (Kontrolle von Waffenlagern) zu verdanken.
Er äußert oft die Phrase, es sei eine Zumutung die Regierung mit einer Partei zu bilden die ihre "Privatarmee" unterhält. Dass dies nichts weiter als eine Ausrede für seine ewig gestrige Blockadepolitik ist, zeigt eine "Aktion" vor einigen Wochen. Trimble konnte eine Reihe von Personen für eine relevante Institution, dem "Civic Forum", auswählen. Seine erste Wahl fiel auf Gary McMichael. Dieser ist Chef der UDP, einer Partei, die sich selbst als politischen Arm der UDA/UFF sieht. Letztere, offiziell im Waffenstillstand, ist für zahlreiche Greueltaten in den letzten Monaten verantwortlich (s.o.).
Dennis berichtet vorwiegend über das Verhältnis mit den unionistischen bzw. loyalistischen Parteien, die oftmals, wie das Beispiel DUP zeigt, öffentlich vorgeben sich nicht mit den Republikanern zu treffen, was in der Realität keineswegs der Fall ist.
Er weist uns darauf hin, dass die DUP, die die Regierung am vehementesten ablehnt, sich hier sehr wohl fühlt. Dies liegt v.a. an "Einrichtungen" wie Staatskarossen und Leibwächtern, für Sinn Fein eher ein notwendiges Übel.
Garvaghy Road Residents Coalition: Brendan klärt uns über die Geschichte der Märsche auf. Ein weiteres Mitglied der GRRC erzählt uns über das Leben und die Erfahrungen von Katholiken in Portadown. Erschreckend ist ihre Erzählung über ein Treffen mit dem Oranierorden. Dieser Orden, der sich in der Öffentlichkeit als liberale Organisation darstellt, hat es damals zum Einen abgelehnt direkt mit den katholischen Vertretern zu reden. Zum Anderen weigerten sich die Vertreter des Oranierordens die selben Toiletteneinrichtungen wie die Repräsentanten der Koalition, damals vorwiegend katholische Frauen, zu benutzen: Kaum rassistisch.
Das alltägliche Leben bedeutet für die Katholiken auch, dass sie sich aus Angst vor Übergriffen nicht mehr nach fünf Uhr abends in die Innenstadt trauen können. Als Robert Hamill dies 1997 tat, wurde er von ca. 30 Loyalisten zu Tote getreten. Die RUC hat damals diesen Vorfall beobachtet ohne einzugreifen. Als Vertreter der GRRC Tony Blair die Einzelheiten dieses Falles vorgetragen haben, lehnte er einen Vergleich mit dem rassistischen Mord an Steven Lawrence in London ab und zeigte Verständnis für das Verhalten der RUC.
Aussagen von Blair zum Machtwechsel in Jugoslawien, dass nun endlich die Demokratisierung eingeleitet wird, während in dem Teil Irlands, auf den Groß-Britannien immer noch Anspruch erhebt, anti-demokratische Verhältnisse bestehen, avancieren hier zur Farce.
Die beiden Vertreter der Koalition berichten uns des weiteren über die schmutzige Propaganda der Unionisten/Loyalisten, der "securocrats" und der konservativen britischen Presse. Diese behaupteten u.a. Brendan würde die Demonstranten bezahlen (mit der unglaublichen Summe von einem Pfund). Als bräuchte es irgend einen weiteren Anreiz gegen die Situation zu demonstrieren, dass ein sektiererischer Orden, anti-irische, rassistische Sprüche und Lieder grölend, ihre Straßen überquert. Bewohner werden brutalst in Nebenstraßen gedrängt, gegen sie wird mit Plastikknüppeln und -geschossen vorgegangen. Jedem, der die Bilder gesehen hat, weinende Mädchen mit blutüberströmten Gesichtern, verprügelt von den mutigen Vertretern der "königlichen Polizei von Ulster", wird klar, wie lächerlich diese weitere Komponente (pro-) britischer Propaganda ist.


Crossmaglen: Crossmaglen ist eine republikanische Hochburg ca. 10 Kilometer von der Grenze entfernt. In South Armagh, dem Gebiet in dem "Cross" liegt, kommt auf 8 Bürger ein britischer Soldat. Es ist eines der höchst militarisiertesten Gebiete Europas. Als wir die Straße zum Marktplatz hinauffahren, sehen wir britische Soldaten patrouillieren. Aus unserem Radio ertönt das Lied "Go on home British Soldiers". Die Situationskomik veranlasst uns zum Gelächter.
Ich blicke in die Gesichter der jungen Soldaten, die schwerbewaffnet an kleinen Kindern vorbeigehen, provokativ in jedes Auto blicken. Glauben sie wirklich die Floskeln ihrer Vorgesetzten, sie schützen die (hier primär republikanische) Bevölkerung vor der Irisch Republikanischen Armee?
Für die Menschen hier hat sich nur eines geändert: Während vor einigen Jahren die britische Armee nicht patrouillierte, beginnt sie gerade während des Waffenstillstandes damit. Die Forderung nach einer IRA-Entwaffnung stößt hier verständlicherweise auf wenig Wohlwollen.
Wir fahren zu Freunden, wo wir die nächsten beiden Tage übernachten. Eileen, die Frau eines Sinn Fein Councillors, empfängt uns. Es ist schön die Familie wiederzusehen. Eileen "weist die anderen darauf hin", dass ihr Haus mein zweites Heim ist. Wie recht Sie hat. Die Herzlichkeit der Menschen hier zieht mich immer wieder magisch an. Eileen erzählt uns über ihren Bruder Danny MacNamee, der für eine IRA-Bombe in England Anfang der 80er Jahre verantwortlich gemacht wurde. Danny war daran nicht beteiligt, was ein britisches Gericht vor zwei Jahren zugestehen musste. 16 Jahre lang im Knast, damit die britische Justiz der Bevölkerung einen Schuldigen vorweisen konnte.
Als wir am Abend das schönste Pub (Mc Kearneys) in "Cross" besuchen, schlagen plötzlich die Emotionen über. Zum Fernsehapparat blickend vernehmen wir enthusiastisches Grölen der Gäste. Hat Groß-Britannien endlich verkündet, dass es sich aus Irland zurückzieht? Nein, es läuft nur "Big Brother".

6. Tag
Während die Anderen sich die Gegend anschauen genieße ich "Cross", genehmige mir ein Pint und halte einen Plausch mit den Brennans. Den Abend lassen wir mit einem Gaelic Football-Spiel angehen. Das Fort mit RUC und britischer Armee ist direkt vor dem Spielfeld. Wir beneiden die "Brits" um die Aussicht auf den Platz.
Als sich die Spieler vor Spielbeginn zur irischen Trikolore drehen und der "Soldiers Song" erklingt, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Die Provokation der "Brits" lässt nicht lange auf sich warten. Nach der Pause startet ein Helikopter, fliegt im Tiefflug über das Spielfeld, fliegt eine Runde über die wunderschöne Landschaft, die sie mit ihren "spyposts" verschandelt haben und landet wieder im Fort. Die Prozedur wird zweimal wiederholt.
Den späteren Abend verbringen wir bei der Irish Night in Camlough. Wir treffen Declan einem "Sinn Feiner", dessen Bekanntschaft wir in Stormont gemacht haben wieder, und lassen den Urlaub bei irischer Rebellen-Musik ausklingen.


Schlußbemerkung
Aus meiner Perspektive war die Woche brillant. Wir haben uns in der Gruppe super verstanden. Ich hoffe, dass wir eine ähnliche Reise wiederholen werden.
Einige jener, die nicht dabei waren und diesen Bericht lesen, werden mir wahrscheinlich vorwerfen, die Treffen nicht neutral beurteilt zu haben. Doch was bedeutet "Neutralität"? Würden diese Personen Kritik an der Unterdrückung der dunkelhäutigen Bevölkerung in Südafrika als perspektivistisch einstufen? Wohl kaum. Warum dann in Bezug auf die "six counties"? Dies ist einfach zu beantworten. In Südafrika war die Situation, v.a. medial, eindeutig darstellbar. Als Abgrenzungskriterium diente die Hautfarbe: Die weißen Unterdrücker gegen die schwarzen Unterdrückten. Im Norden Irlands ist dies komplexer. Ob jemand pro-irisch oder pro-britisch ist, kann man ihm nicht ansehen. So wird die Tatsache, dass die irischen Ureinwohner (irisch-nationalistisch), primär katholischen Glaubens sind und die angesiedelten Engländer und Schotten (unionistisch/loyalistisch) vorwiegend protestantisch, oftmals von den Medien derartig verfälscht, als handle es sich um einen Religionskrieg. Die beiden pro-irischen Parteien sind jedoch keineswegs anti-protestantisch. Sinn Fein fordert bspw. eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion.
Überdenke ich die Treffen, so kann man meine Gefühle mit drei Worten ausdrücken: Erschütterung, Frustration und Hoffnung.
Erschütterung muß wohl nicht näher erläutert werden.
Frustriert bin ich, da ich sehe, wie Politiker und die Bevölkerung bei uns die Geschehnisse ignorieren. Wie die "Sicherheitskräfte" vorgehen können, ohne dass sich viele daran stören: Sie können Menschen auf offener Straße erschießen ohne dafür belangt zu werden. Eine große Schuld tragen hier die Medien, die sich auf die IRA "eingeschossen" haben. Die IRA, deren Mitglieder jene bekämpften, die den sektiererischen Staat aktiv aufrecht erhalten, also primär militärische Ziele angegriffen haben (darüber hinaus sollte die britische Ökonomie geschwächt werden), wird als terroristische Organisation tituliert. Die "securocrats", die auf offener Straße "Shoot-to-kill-Aktionen" durchführen und die pro-irische Bevölkerung systematisch unterdrücken und einschüchtern, führen einen Kampf gegen den Terrorismus durch. Kinder, die mit Plastikgeschossen ermordet werden: Kampf gegen den Terrorismus. Alte Frauen, die vor Ihrer Haustür ermordet werden: Kampf gegen den Terrorismus.
Oftmals wird der Oranierorden als liberale, traditionsbewußte Organisation dargestellt. Ein Orden deren Mitglieder sich weigern, die selbe Toilette wie katholische Frauen zu benutzen. Ein Orden der mit der faschistischen Combat 18 durch London zieht und vor der Kamera den Hitler-Gruß tätigt (wie 1998 passiert).
Und kaum einer wagt es einen britischen Politiker für die Legitimation der Unterdrückung anzugreifen. "Blame it all on the kids and the IRA", wie schon John Lennon in einem seiner Lieder über den Krieg im Norden schrieb.
Allen, die mit der republikanisch-sozialistischen Bewegung sympathisieren, sei an dieser Stelle Mut gemacht: Natürlich dürfen wir unsere eigene Identität und grauenvolle Geschichte niemals vergessen. Gerade in einer Zeit fast täglicher rechtsextremer Übergriffe gegen unsere ausländischen Mitbürger und Freunde müssen wir uns schützend vor diese stellen. Widerstand leisten gegen rassistische Hohlköpfe.
Genauso falsch ist es jedoch, nicht über die eigenen Grenzen hinauszublicken. Rassismus ist allgegenwärtig. Lediglich die Intensität ist unterschiedlich und manchmal auch die Farbe. Bei uns ist er braun, im Norden Irlands Orange.
Wir, die Interesse für unterdrückte Kollektive in anderen Ländern zeigen, dürfen uns nicht in eine Defensive drängen lassen. Diejenigen, die Südafrika geschehen lassen. Diejenigen, die Nordirland geschehen lassen. Diejenigen, die Unterdrückung und Diskriminierung geschehen lassen. Diejenigen haben sich zu rechtfertigen.
Doch die Woche hat auch viel Hoffnung in mir geweckt. All diese Organisationen tragen dazu bei, den Menschen eine Leben mit der Situation zu erleichtern.
Sie tragen dazu bei, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Der Terror der "securocrats", der Rassismus rechter Unionisten und Loyalisten, die "collusion", die Legitimation der Verhältnisse durch die ehemalige konservative britische Regierung.
All diese Organisation tragen letztlich dazu bei, dass irische Nationalisten, Bürger, die in diesem Unrechtsstaat aufgewachsen sind, sich nicht mehr die Frage stellen müssen, ob sie mit Waffengewalt dagegen vorgehen sollen.
Hoffnung macht mir Sinn Fein, eine Partei, die die Intentionen obiger Organisationen unterstützt, die selbstkritisch ist, sozialistisch, anti-rassistisch, anti-imperialistisch.
Staatliche Repression, 20.000 britische Soldaten, 12.000 RUC-Mitglieder, antidemokratische Gesetze, eine von Unionisten und Loyalisten dominierte Justiz, Zensur und mediale Ächtung haben es nicht geschafft, die Republikaner in die Knie zu zwingen. Die Wahlerfolge der letzten Jahre und die Tatsache, dass einflußreiche Institutionen im Ausland, bspw. das "International Relations Commitee of the United States Congress", wichtige republikanische Positionen unterstützen, beweisen, dass die Strategie fortwährend Früchte trägt. Diese Institution, ebenso wie Al Gore und Bill Clinton, forderte Mandelson unzweideutig auf, den "Patten-Bericht" vollständig zu implementieren.
Ich wünsche den irischen Republikanern von ganzen Herzen, dass nach jahrhundertenlangem Widerstand gegen das Unrecht ihr Traum in Erfüllung geht ein unabhängiges Irland zu kreieren. Ein demilitarisiertes Irland, ein Irland in denen die Menschen unabhängig von der Identität, vom Glaube, Geschlecht und der Hautfarbe gleichberechtigt leben können.
Ich bin mir sicher, dass dieser Tag kommen wird, dass euer Tag kommen wird.
Unionisten, Loyalisten und britische Konservative werden dies nicht verhindern können. Sie werden es nur verzögern können: Der Tag an dem Groß-Britannien seine letzte Kolonie verliert wird einer der Tage sein, an dem die Freiheit wieder einmal gegen die Ungerechtigkeit gesiegt hat.

Freundeskreis Sinn Fein, Bamberg/Lichtenfels

Letzte Änderung:
06-Sept-03